Gunfire in Kentucky

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Schüsse in Kentucky

© Martin Klingst für DIE ZEIT

Seit der Wahl Barack Obamas zum Präsidenten spüren Amerikas Rassisten Aufwind. Ein Besuch beim militanten Ku-Klux-Klan

Hierher verirrt sich kein ungebetener Gast. Der namenlose Ort liegt in einem einsamen Wald- und Sumpfgebiet im Süden Kentuckys, die nächste kleine Stadt, Dawson Springs (Öffnen Sie hier die Karte), ist meilenweit entfernt. Millionen von Mücken schwirren über den feuchten Wiesen, in der Ferne heulen Kojoten, kein Mensch weit und breit. Doch plötzlich, hinter einer Biegung, stehen ein verkohltes Holzkreuz und ein abgebranntes Hakenkreuz am Wegesrand. Im Gras glitzern goldgelbe Patronenhülsen. Ein rostiger Metallzaun schlängelt sich zwischen den Bäumen hindurch. Dahinter, in einer Senke, duckt sich eine Handvoll windschiefer Baracken. Über ihnen flattern zwei Fahnen: die rot-weiß-blaue der ehemaligen Südstaaten-Separatisten – und eine rote mit drei schwarzen K. Sie verkündet: Hier wohnen Anhänger des Ku-Klux-Klans, jener weißen Geheimloge, die einst Schwarze an Bäumen aufknüpfte oder bei lebendigem Leib verbrannte.

Kein Licht, keine Stimme, niemand rührt sich. Im Wind quietscht eine leere Kinderschaukel. Es ist, als hätten die Bewohner den Ort fluchtartig verlassen. Wären da nicht die zähnefletschenden Hunde an Ketten. Und wären da nicht das rote Auto und der braune Pick-up-Truck, die wie aus dem Nichts auftauchen, eine riesige Staubwolke aufwirbeln. Zwei Männer und eine Frau steigen aus.

Der Glatzköpfige unter ihnen knurrt: »Ich bin Ron Edwards«, und brüllt dann laut: »Wolfgang, Wooolfgang!« Sofort legt sich einer der riesigen Hunde winselnd vor ihm auf den Boden. Er ist ein Mischling, halb Schäferhund, halb Wolf, und der ganze Stolz seines Besitzers. »Nur unter Tieren akzeptieren wir Bastarde«, sagt Edwards grinsend. »Amerikas schwärzester Tag war der 20. Januar, als mit Obama ein Bastard, ein Nigger ins Weiße Haus einzog.« Seine Weltanschauung hat er sich auf die Haut tätowiert: SSRunenzeichen, das Hakenkreuz, die weiße Kapuze des Klans, »Tod den Zionisten« und das Wort »Hass«. Die weiße Rasse, sagt er, sei vom Untergang bedroht und müsse sich wieder Amerikas bemächtigen. Schwarze, Latinos, Asiaten und Juden gehörten in »ihre Heimat« zurückgeschickt.

Dies ist eine Reise ins Zentrum der Imperialist Klans of America (IKA). Edwards Truppe ist laut Sicherheitsexperten die zweitgrößte und wohl gefährlichste rechtsextremistische Organisation der USA, aus deren Umfeld heraus in den vergangenen Jahren mehrere Verbrechen verübt wurden: Im Juli 2006 schlugen vier Mitglieder der IKA auf einem Jahrmarkt den 16-jährigen Jordan Gruver halb tot. Sie hatten den Sohn eines Lateinamerikaners und einer indianischen Mutter aus Kentucky für einen spic, einen illegalen Einwanderer, gehalten. Im November 2008, kurz nach Obamas Wahl, verhaftete das FBI in Tennessee zwei weiße Skinheads, die geplant hatten, den neuen »Nigger-Präsidenten« umzubringen und ein Massaker an mindestens hundert Schwarzen zu verüben. Einer von ihnen ist mit Edwards erwachsenem Sohn Steven befreundet und gehörte einst zu dessen gewalttätiger Skinheadgruppe Supreme White Alliance.

Rechtsextreme Gruppen wie Edwards’ Klan säten auf ihren Websites unentwegt Hass, sagen Sicherheitsfachleute in Washington und Mitarbeiter des angesehenen Southern Poverty Law Center (SPLC) in Montgomery, Alabama. Sie seien deshalb für die Verbrechen und die zunehmende Terrorgefahr mitverantwortlich, denn die Gewalttäter holten sich hier »ihr Rüstzeug«: etwa jener weiße Rassist aus Maine, der nicht hinnehmen wollte, dass seine Landsleute einen Afroamerikaner ins Weiße Haus gewählt hatten, und in dessen Küche die Polizei im Dezember Material zum Bau einer schmutzigen Bombe entdeckte. Oder der Mann aus Massachusetts, der am Tag nach Obamas Amtseinführung zwei Schwarze ermordete. Und ebenso der 88-jährige James von Brunn, der im Juni das Holocaust-Museum in Washington stürmte und einen Wächter erschoss. In seinem Auto fand das FBI einen Zettel mit den Worten »Obama ist ein Geschöpf der Juden«.

Nicht jeder rassistische Anschlag, sagt Morris Dees, Mitbegründer des SPLC, sei gegen Obama gerichtet, aber die Wut erstrecke sich meist auch auf ihn. Im Frühjahr schlugen die Experten aus Montgomery, aber auch Obamas Ministerin für Heimatschutz, Janet Napolitano, Alarm: Die Gefahr eines Attentats auf Obama sei gewachsen. Nazi-, Skinhead- und Ku-Klux-Klan-Gruppen erhielten schon länger regen Zulauf, seit 2000 sei ihre Mitgliedschaft um 54 Prozent gestiegen. Die Sorge wächst, seit in diesen Sommermonaten auf Protestveranstaltungen gegen die Gesundheitsreform immer wieder Fanatiker aufmarschieren. Vergangenes Wochenende trugen Obama-Gegner bei einer Demonstration in Washington Attrappen von Sturmgewehren und riefen: »Wir sind aus Montana und Utah gekommen – dieses Mal noch unbewaffnet.«

Noch in der Wahlnacht, sagt Ron Edwards voller Stolz, sei sein gesamtes Computernetz unter dem Andrang von Sympathisanten zusammengebrochen. »Tausende von Patrioten wollten ihrem Zorn Ausdruck verleihen.« Doch die Anschuldigungen gegen seinen Klan weist der 49-Jährige weit von sich. Er ruft die von ihm mitverfasste Website auf: »Da steht es doch: ›Wir, die Imperialist Klans of America, sind gegen Gewalt und gesetzestreu!‹«

Auf seine linke Glatzenhälfte hat Edwards »Fuck the SPLC!« tätowiert. Der Bürgerrechtsverein mit seinen 150 Mitarbeitern setzt ihm zu: Im vergangenen November überzeugten die Anwälte des SPLC zwölf weiße Geschworene eines Zivilgerichts im konservativen Südstaat Kentucky, Ron Edwards im Zusammenhang mit dem Überfall auf Jordan Gruver eines »Hassverbrechens« schuldig zu sprechen – obwohl der Klanchef nicht an der Gewalttat beteiligt war und auch nichts davon wusste. Die Begründung: Wer seine Organisation nicht im Griff habe und selbst Hass predige, sei mitverantwortlich. Edwards muss Gruver nun anderthalb Millionen Dollar Schadensersatz zahlen.

»Sollen sie doch kommen«, meint er und nestelt am Schaft seiner Pistole, die locker im Bund seiner Bluejeans steckt. »Keinen Cent kriegt dieser Kerl, dieser spic, von mir, ich besitze nichts, habe alles auf meinen Sohn überschrieben.« Die Justiz schätzt den Wert des Waldgrundstücks auf zwei- bis dreihunderttausend Dollar. Regelmäßiges Einkommen bezieht Edwards nicht. Der Grand Wizard, der Große Hexenmeister, wie ihn seine Anhänger ehrfürchtig nennen, lebt von Mitgliedsbeiträgen. Doch die Beschlagnahme des Lagers, sagt Morris Dees vom SPLC, würde dem Klan die Organisationsbasis entziehen.

Ron Edwards geht hinüber zu einer kleinen, weißen Hütte gleich neben dem Einlass im Metallzaun. Vor der Tür tritt er sich die Stiefel an einer abgewetzten Israelfahne ab mit den Worten: »Die Juden haben nichts Besseres verdient.« Dann zieht er aus einer Schublade einen zehnseitigen, eng bedruckten Schriftsatz. Sein Verteidiger hat gerade Berufung gegen das Urteil eingereicht und eine Durchschrift geschickt. Darin heißt es, der Klanchef und seine IKA bedienten sich zwar einer drastischen, militanten Sprache, aber im Grunde seien sie friedliebend. Das Verfassungsrecht auf Rede- und Meinungsfreiheit schütze selbst Hassreden, die Straftaten der vier Klanmitglieder dürften dem Anführer nicht zugerechnet werden. »Ich bin ein radikaler Traditionswahrer«, sagt Edwards und zeigt auf die Fahnen am Eingang. »Ich verteidige das weiße Amerika, das Erbe der Konföderation und die Bräuche des Ku-Klux-Klans! Das macht mich nicht zu einem Verbrecher!«

Die alte Flagge des Südens flattert in Kentucky auf vielen Dächern und Plätzen, manchmal sogar in der Nachbarschaft von Regierungsgebäuden. Auf Flohmärkten bieten Händler alte Bürgerkriegsorden feil und singen ein Hohelied auf die heldenhafte Konföderiertenarmee. Während im fernen Washington diese unheilvolle Geschichte geradegerückt wird, klammern sich hier fern der Hauptstadt einige an die alte Verklärung. Kentucky und die meisten angrenzenden Südstaaten haben im November auch nicht für Obama, Sohn eines Kenianers und einer weißen Amerikanerin, gestimmt.

Doch Ron Edwards betreibt keine Nostalgie-Show und Südstaatenfolklore. Der Große Hexenmeister verbindet althergebrachten weißen Rassismus mit der gewalttätigen Ideologie der Neonazis. Er selbst bekennt: »Ich bin ein wenig von allem, ein bisschen Klan, ein bisschen Nazi, ein bisschen Skinhead.« Dieses hochexplosive Gemisch, sagt Morris Dees vom SPLC, ziehe oft »verwirrte Einzelgänger an, Gestrandete, die wir landläufig einsame Wölfe nennen«. Doch die tödlichen Anschläge auf die Kennedys und Martin Luther King hätten schmerzlich gezeigt, dass die Attentäter am Ende gar nicht immer so einsam gewesen seien wie vermutet. Im Prozess gegen Edwards hat ein ehemaliges Klanmitglied seinen früheren Chef als »hochgefährlich« bezeichnet und bezeugt, dass dieser ihm schon vor vielen Jahren aufgetragen habe, Morris Dees zu töten. »Teuflische Verleumdung«, sagt Edwards dazu.

Im Camp des IKA herrscht inzwischen reger Betrieb. Aus einer Hütte tritt ein Mann in weißem Umhang und weißer Kapuze, baut sich vorm Christenkreuz auf und bekennt lauthals, dass ihm der junge Gruver und der ermordete Wärter des Holocaust-Museums »kein bisschen« leidtäten. Zum Glück gebe es Leute, die das weiße Amerika verteidigten und aller Welt zeigten, »dass wir kein Holocaust-Museum auf unserem Boden dulden«. »Schreiben Sie, dass so etwas vorkommt, wenn Nigger unser Land regieren und Amerika den Bach runtergeht.«

Auch Jim Steeley, Edwards’ rechte Hand, ist aufgetaucht. Der schmächtige Mann in Tarnhose und Stiefeln war früher Sozialarbeiter im Gefängnis. Er begrüßt den Besucher mit Hitlergruß und führt ihn durchs Gelände. Auf einer Lichtung hinter den Baracken, gleich neben dem Spielplatz für die Klankinder, steht eine große überdachte Bühne. Jedes Frühjahr wird hier zwei Tage lang das »Nordische Fest« zelebriert. Aus allen Himmelsrichtungen reisen dann drei- bis fünfhundert Skinheads mit ihren Familien an und singen Hasslieder mit Titeln wie »Ein dreckiger Jude verdient nichts anderes als den Tod!« oder »Lasst uns die Mexikaner in Särgen nach Hause schicken!«.

Edwards ist stolz darauf, dass er in der zersplitterten rechtsextremen Szene Skinheads, Neonazis und Leute vom Ku-Klux-Klan unter seinem Dach zusammengeführt hat. Wenn es beim Nordischen Fest Abend wird, verteilt er Fackeln und zündet auf der Wiese ein Christenkreuz und ein Hakenkreuz an. Im Feuerschein baumelt die weiße Henkerschlinge, die von der Bühne hängt. Seit 130 Jahren ist sie das Erkennungszeichen weißer Klanrassisten. Im vergangenen Jahr, als die Wahl Obamas näher rückte, fand man solche Schlingen vermehrt auf Schulhöfen und an den Türen schwarzer Professoren. »Keine Angst, wir haben hier im Wald noch keinen Nigger aufgeknüpft!«, sagt Sheeley und lacht, »aber Jux muss sein.«

Drei-, viermal im Jahr treffen sich hier im Wald ein paar Dutzend Rechtsextremisten zum Kampftraining. In Tarnuniformen robben sie durchs Unterholz und schießen mit halb automatischen Gewehren auf Zielscheiben. Am beliebtesten ist eine mit dem Foto eines davonrennenden Schwarzen. Ron Edwards nennt ihn den »Runaway-Nigger«. Eigentlich sei er ganz froh, dass Obama Präsident geworden sei, sagt der Klanchef beim Abschied. »Er vereint den weißen Widerstand und gibt unserem Feind endlich ein erkennbares Gesicht.«

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