Vor üppigen Blondinen kapituliert die Vernunft
(0) Von Holger Kreitling 22. September 2009, 12:03 Uhr
Immer schön ins Wasser rennen! Vor genau 20 Jahren startete in den USA die Rettungsschwimmer-Serie “Baywatch”. Berühmt wurden Pamela Anderson im roten Badeanzug und David Hasselhoff in knapper Hose. Keine Serie haben mehr Menschen zugleich gesehen. Völlig egal, wer gerade aus den Wellen gezogen wurde.
Um das ganze Ausmaß des Wahnsinns zu ermessen, den die Serie „Baywatch“ ausgelöst hat, muss man die Chinesen anschauen. Und zwar in einer kleinen Szene im Kinofilm „Spy Game“ mit Brad Pitt und Robert Redford. Es geht um zwei Agenten, die Sache ist kompliziert, jedenfalls muss Redford irgendwann am Telefon mit Chinesen verhandeln, die den Strom auf einer ganzen Insel abschalten sollen.
Der Chinesen-Chef nickt ständig, ja, er könne das. Er schaut Fernsehen. Sie feilschen um Geld, viel Geld. Die Summen gehen hin und her, doch der Chinesen-Chef und seine Untergebenen schauen Fernsehen. Dort läuft, war ja klar, der Vorspann von „Baywatch“. Hintern in Bikinihöschen sind zu sehen, Wasser spritzt, Pam Anderson wogt im Gehen, ihr roter Badeanzug springt den Chinesen förmlich ins Gesicht. Prompt sagen sie Robert Redford alles zu.
Brutaler lassen sich Schlüsselreize für Männer nicht darstellen als mit dem Vorspann zu „Baywatch“. Haben wir ja auch bei „Borat“ gesehen, der wegen dieser Serie nach Amerika ging und dort am Strand weit schöner als David Hasselhoff in seinem Monokini herumstolzierte. Allerdings gilt die „Baywatch“-Sedierung nicht bloß für Asiaten und Kasachen. Die Krankheit kann jeden befallen. Vor üppigen Blondinen kapituliert die Vernunft. Gehirn? Vorläufig außer Kraft gesetzt. Erst nach 45 Minuten darf wieder eingeschaltet werden.
An diesem Dienstag vor 20 Jahren startete auf dem US-Sender NBC die Serie, die in Deutschland ab September 1990 den Untertitel „Die Rettungsschwimmer von Malibu“ trug. 243 Folgen wurden produziert, in denen so viele Menschen aus dem Wasser gerettet werden mussten, dass die Frage berechtigt ist, ob in Kalifornien die Menschen tatsächlich schwimmen, surfen, tauchen können oder nur so tun. Jedenfalls rannten die Retter stets flott in die Wellen, Arme und Beine flogen, die Wellen rauschten.
Vom kalifornischen Traum des endlos langen, leichten Lebens, den die Beatniks und Hippies einst erfanden, bleibt am Ende nur der energiestrotzende Lauf in engen Badeanzügen. Für die Frauen und Männer sind Muskeln Lebensinhalt und Existenzberechtigung. Kulturkritiker haben in „Baywatch“ und den Wellen-Rettungslauf-Bildern den Körperkult der neunziger Jahre festgemacht, der Hedonismus auf den unbedingten Schönheitskult übertrug. Alle Natürlichkeit ist zugleich absolut künstlich. Wer Gesundheit will, muss Pillen essen und muskelaufbauende Präparate. Ach ja, und Brustvergrößerung hilft. Immer.
So wurde „Baywatch“, man kann es heute kaum noch glauben, zur erfolgreichsten Fernsehserie des 20. Jahrhunderts, verkauft in 144 Länder. Zur besten Zeit Mitte der 90er-Jahre sahen wöchentlich mehr als eine Milliarde Menschen David Hasselhoff und Pamela Anderson (1992-1997) bei ihren seichten, aber stets wasserdurchwirkten Abenteuern zu. Hasselhoff, der in 208 Folgen mitspielt, hatte zuvor in „Knight Rider“ mitgewirkt und dort mit seinem Auto gesprochen, von dem alle schwören, der Wagen sei schwul gewesen. Die erste „Baywatch“-Staffel 1989 war ein Flop, erst als Hasselhoff selbst produzierte, kam der Erfolg.
Die Besetzung der Rettungswacht wechselte ständig, als Pamela Anderson ging und ihren roten Badeanzug mitnahm, kam für zwei Staffeln Carmen Electra als Sex-Symbol. Nach neun Staffeln aus Malibu wechselte die Serie nach Hawaii, David Hasselhoff ermittelte außerdem nachts als Detektiv in „Baywatch Nights“. In den USA wurde der Schauspieler oft verlacht, auch schon zu einer Zeit, als er in Deutschland als Sänger gefeiert wurde. Zu unrühmlichen popkulturellen Vergangenheit unseres Landes gehört die Tatsache, dass „I’ve been looking for freedom“ 1989 acht Wochen lang die Hitparaden anführte. Hasselhoff sang das Lied, produziert von Jack White, vor einer halben Million Menschen an der frisch geöffneten Berliner Mauer. Im Glückstaumel passierten allerlei seltsame Dinge.
Mittlerweile ist David Hasselhoff vollends zur bemitleidenswerten, lächerlichen Figur geworden. Seit seine Tochter ein Video des sturzbetrunkenen Vaters gedreht hat, der – immerhin mit nacktem Oberkörper! –auf dem Küchenboden kriecht und vergeblich versucht, einen Hamburger zu essen, kennt jeder seine Krankengeschichte. Ähnlich wie Pam Anderson ist er eine Trash-Ikone. Beide taumeln zwischen öffentlichen und privaten Bildern hin und her, Rollen, Inszenierung und melodramatisch Realität sind eins geworden.
Der Schauspieler Hasselhoff hat aber in einem wunderbaren Anfall von Selbstironie sein Image karikiert. Im großartigen „SpongeBob“-Film von 2004 tritt er plötzlich am Strand auf, natürlich in roter Badehose, als SpongeBob und sein Freund Patrick Hilfe benötigen. Der einstige Rettungsschwimmer nimmt den Schwamm und den Seestern auf seinen Rücken und schwimmt ins Meer hinaus. Dann steckt er die Trickfiguren – kein Witz – zwischen seine Brustmuskeln und schießt SpongeBob und Patrick nach Bikini-Bottom zurück. So wollen wir ihn in Erinnerung behalten. Danke, Baywatch.
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