Missile Defense Systems: The Race Is On

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Raketenabwehrsysteme

Die Rüstungsspirale dreht sich

Von Michael Thumann

25.9.2009

Iran will sie haben, die Türken, die Venezolaner und viele mehr: Raketenschirme sind gefragt. Russland, die USA und China freut es, denn sie verkaufen sie.

Hat Barack Obama mit einer viel beklatschten Entscheidung zur Abrüstung eine neue Aufrüstungsrunde eingeleitet? Vor einer Woche verkündete der US-Präsident, er werde die von seinem Vorgänger George W. Bush in Polen und Tschechien geplanten Raketenabwehrsysteme gegen Interkontinentalwaffen nicht stationieren.

Kurz darauf wurde bekannt, dass die Türkei und Venezuela drauf und dran sind, sich moderne Abfangsysteme zu kaufen. Zugleich durchkreuzt Israel immer neue Versuche Irans, sich solche Waffen anzuschaffen. Wie hängen diese Einkaufstouren zusammen und wen bedrohen sie? Zunächst einmal hatte Obama recht damit, die Bush’sche Raketenabwehr zu stoppen. Das System war gegen Langstreckenwaffen aus “Schurkenstaaten”, siehe hier: Iran, gerichtet.

Teheran, das gerade die Existenz einer weiteren nuklearen Anreicherungsanlage zugegeben hat, mag gelegentlich mit Raketenversuchen protzen und deren Reichweite übertreiben. Tatsächlich aber ist das Land auf mittlere Sicht wohl kaum in der Lage, Ziele in mehr als 2500 bis 3000 Kilometer Entfernung zu erreichen. Mit anderen Worten: nicht Amerika, sondern Europa wäre zu schützen. Das Interkontinentalsystem in Polen und Tschechien half da wenig, es ärgerte nur Russland, das sich damit gemeint fühlte.

Die russische Führung erhielt in diesem Sommer auffällig oft Besuch aus Israel. Der Grund dafür, so heißt es in israelischen Zeitungen, seien Raketenabwehrsysteme gewesen. Präsident Peres habe zwischen den USA und Russland vermittelt – im israelischen Interesse. So lautete – offiziösen Quellen zufolge – der Deal: Die Amerikaner verzichten auf die Abfangsysteme in Polen und Tschechien; dafür erklärt sich Russland zu härteren Sanktionen gegen Iran bereit, wenn Teheran die nuklearen Zentrifugen weiter drehen lässt; zugleich sichert Moskau zu, Iran kein Raketenabwehrsystem zu liefern.

Genau das befürchtete offenbar Israels Premier Netanjahu, als er im September zu einer geheimen Blitzreise nach Moskau aufbrach. In Israel heißt es, er habe dort über die Ladung des entführten Schiffes Arctic Sea verhandelt, das eine russische Besatzung hatte und von der russischen Marine aus der Hand der ebenfalls osteuropäischen Piraten befreit wurde.

Die Arctic Sea soll unter einer Ladung Baumstämme das russische Raketenabfangsystem S-300 für Iran transportiert haben. Ob Holz oder Hightech-Stahl, bleibt ungeklärt. Sicher ist nur, dass die Waffen nicht in Iran ankamen, Iran aber weiter nach Möglichkeiten sucht, sich gegen einen möglichen israelischen Angriff zu schützen.

Die Israelis haben natürlich seit vielen Jahren Patriot-Abwehrraketen aus amerikanischen Schmieden installiert. Im zweiten Golfkrieg 1991 schossen sie damit irakische Scud-Flugkörper ab. Die Patriots möchte nun auch ein weiterer Verbündeter der USA in der Region, die Türkei. Zwar behauptet die türkische Regierung steif und fest, das habe gar nichts mit Teheran zu tun. Aber der Blick auf die Landkarte lehrt, dass sich die Türkei neben Iran eigentlich nur noch von Russland und Pakistan bedroht fühlen könnte. Wer sonst hat solche Raketen?

Gegen welches Land aus dieser freundlichen Kollektion auch immer, das Pentagon in Washington hat angekündigt, der Türkei 13 Patriot-Abfangsysteme liefern zu wollen. Das türkische Militär redete die Sache erst klein, verhandelt nun aber – zum Schein oder ernst – noch mit Russen und Chinesen. Die Russen bieten den Türken ihre hochmoderne S-400 an, nehmen also nicht an, Ankara wolle sich gegen Russland schützen, die Chinesen offerieren eine Weiterentwicklung der S-300.

Handelseinig mit den Russen ist ein guter Verbündeter Moskaus in Lateinamerika geworden, Hugo Chávez. Russland wird Venezuela zwei Milliarden Dollar leihen, damit Chávez seinem Land russische Panzer, Flugabwehrsysteme und einige S-300-Batterien kaufen kann. Beide Länder sind derzeit etwas knapp bei Kasse, da sich der Ölpreis nicht nach ihren Vorstellungen entwickelt. Aber Verteidigung muss sein. Hugo Chávez denkt da natürlich zuerst an die USA, von denen er sich zu Lande, zu Wasser und aus der Luft bedroht fühlt.

Fasst man die in diesem Sommer getätigten und geplanten Käufe von Abwehrsystemen zusammen, so lässt sich ein neues Muster erkennen. Die wachsende Zahl von Ländern, die mit Kurz- und Mittelstreckenraketen ihre Nachbarn in Unruhe versetzen, zeitigt einen Abwehrreflex. Nun wollen sich immer mehr Länder aktiv schützen, was auch nicht gerade eine vertrauensbildende Maßnahme ist.

Hauptprofiteure sind die USA und Russland nebst China, die diese Waffen anbieten. Hauptverlierer sind überzeugte Anhänger der Abrüstungsidee, die immer mehr wie eine abgestandene Mode der achtziger Jahre wirkt. Der globale Wettlauf um das beste Raketensystem ist in vollem Gang.

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