Dollar-Junkies im Dilemma
Von Christian Ortner
Der US-Publizist David Brooks vertrat in einem Kommentar für die “New York Times” vor ein paar Tagen die Meinung, Amerika müsse “wieder eine produzierende Volkswirtschaft werden, keine konsumierende” und monierte in diesem Zusammenhang “finanzielle Selbstbeschränkung, im Großen wie im Kleinen”. Man könnte auch sagen: eine Rückkehr zu den traditionellen protestantischen Werten der amerikanischen Gründerväter, die ja auch noch nicht ihre Visa-Rechnungen mit der Mastercard bezahlt haben.
Da schwingt zwar ein wenig moralinsaures Pathos mit, aber im Großen und Ganzen wird dieser Befund von den meisten Ökonomen geteilt. Dass die USA – und damit indirekt als Kollateral-Profiteure auch wir – zu lange über ihre Verhältnisse gelebt haben, ist ja schließlich ursächlich für die derzeitigen wirtschaftlichen Verwerfungen mitverantwortlich, wenn auch natürlich nicht ausschließlich.
Deshalb forderte ja auch US-Präsident Barack Obama beim G20-Treffen in Pittsburgh, die “Ungleichgewichte” im Welthandel auszugleichen. Soll heißen, die USA können nicht ewig überkonsumieren, während die anderen übermäßig sparen.
Das Problem dabei ist leider: Fänden die Amerikaner tatsächlich zum puritanischen Finanzethos der Gründerväter zurück und kauften ein Auto (oder ein Haus oder eine neue Küche) erst dann, wenn sie genügend angespart haben – dann wäre die vermutlich brutalste Depression aller Zeiten die Folge, und nicht nur in den USA. Denn dort ist seit 1980 der Anteil des Konsums an der Wirtschaftsleistung von bis dahin jahrzehntelang konstanten 62 auf 70 Prozent angestiegen. Man kann sich gut vorstellen, wie sich dramatische Konsumverweigerung auf das Bruttosozialprodukt (BSP) auswirkte.
Möglich wurde das in erster Linie durch eine signifikant ansteigende private Verschuldung. Zwischen 1966 und 2007 stieg das Verhältnis privater Schulden zum BSP von 55 auf erstaunliche 133 Prozent. Die Schulden der Privaten sinken zwar seit einigen Monaten krisenbedingt merklich – im gleichen Ausmaß steigt aber die staatliche Verschuldung rasant. Insgesamt nimmt die US-Verschuldung also nicht ab, sondern sogar eher noch zu. Dass sich die weltwirtschaftlichen “Ungleichgewichtige” ernsthaft ausgleichen, ist daher nicht wirklich in Sicht: Auch das biblische Schuldenvolumen, das die USA gerade aufhäufen, wird wie gehabt weitgehend von China bereitgestellt.
Es wird die wahrscheinlich schwierigste aller schwierigen ökonomischen Übungen werden, Amerikas exzessiven Konsum auf Pump herunterzufahren, ohne bei dieser Gelegenheit die globale Konjunktur zum Verrecken zu bringen. Denn das kann, wenn überhaupt nur gelingen, wenn andere Länder gleichzeitig mehr konsumieren, als ihrem Naturell entspricht; eine wenig erfolgversprechende Prämisse.
Die USA finden sich im Grunde in der Situation eines Junkies, der weder seine Sucht noch den unmittelbaren harten Entzug der Droge Kredit unbeschadet überleben kann.
Printausgabe vom Samstag, 03. Oktober 2009
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