Die Zeit spielt für die Iraner
Von Michael Thumann
1.10.2009
Iran trifft die mächtigsten Länder der Welt zu Gesprächen. Auf der Tagesordnung steht das Atomprogramm. Teheran wird keine Zugeständnisse machen.
Man stelle sich zwei Menschen vor, die seit Langem miteinander sprechen wollen, sich aber kurz vor dem Stelldichein noch mal heftig angiften, erpressen und beleidigen. Das kann kein gutes Gespräch werden. So in etwa darf man sich das Treffen der fünf ständigen Mitglieder des UN- Sicherheitsrats und Deutschlands am Donnerstag in Genf mit Iran vorstellen. Kurz vor dem Sorgengipfel in der Schweiz gab Iran zu, eine zweite Anreicherungsanlage für nuklearen Brennstoff aufzubauen. Und als reichte das noch nicht aus, zündete Teheran noch rasch ein paar Raketen, die mit bis zu 2000 Kilometern Reichweite schon zur Langstreckenkategorie zählen. Amerika, Großbritannien und Frankreich drohten darauf Iran mit harten, empfindlichen Sanktionen. Und dann machten sich alle zum Verhandeln bei Kaffee und Klarsichthüllen nach Genf auf.
Iran möchte gern über die ganz großen Dinge reden, Friedensinitiativen im Mittleren Osten, Zusammenarbeit im Sinne der ganzen Menschheit, eine bessere Welt. Das ist schön, aber verfehlt das Thema. Die westlichen Gesandten werden vor allem konkret über Irans Atomprogramm sprechen wollen. Daran hat Teheran bisher wenig Interesse gezeigt. Iran kann warten, die Zeit arbeitet für die Regierung in Teheran. Ganz gleich, mit welcher Erklärung die Diplomaten am Ende ihre Flugtickets nach Genf rechtfertigen, es wird kaum Greifbares sein. Zu weit liegen die Ziele auseinander: Iran möchte die nuklearen Zentrifugen weiter drehen lassen, um dereinst die Bombe herstellen zu können – oder zumindest jederzeit die Option dafür zu haben. Der Westen will genau das nicht. Kann er es verhindern?
Vom Krieg gegen Iran wurde schon viel geraunt. Natürlich wägt Israel weiter seine militärischen Optionen ab. Aber ein Angriff auf Iran passt herzlich wenig in das Gesamtkonzept von US-Präsident Barack Obama, der in Afghanistan schon einen Krieg zu verlieren scheint. Ein Angriff auf Iran würde dem Land sicher schaden, aber nicht das Atomprogramm stoppen: Während über der Erde die Trümmer rauchten, würden unter der Erde die Zentrifugen weiterdrehen. Oder kurz darauf an neuen Stellen. Kurz: Krieg bringt nichts.
Deshalb reden westliche Politiker lieber von harten und “zerstörerischen” (Hillary Clinton) Sanktionen gegen Iran. Das ist sicher ein gutes diplomatisches Placebo, wahrscheinlich auch eine halbwegs sinnvolle Politik, um das Gesicht zu wahren, aber beileibe kein Mittel, das Atomprogramm zu stoppen. Da kann der Verkehr im Iran zusammenbrechen, weil kein raffiniertes Benzin mehr hineinkommt, da können alle Auslandskonten gesperrt, alle Flugverbindungen gekappt, alle Handelsbeziehungen abgebrochen sein, da können die Iraner unter schwersten Krisen leiden. Das einzige, was immer geht, wird die Arbeit am Atomprogramm sein. Nuklearmacht zu werden, hat in Iran mittlerweile etwas von einer quasireligiösen Verheißung. Und im Gegensatz zur Rückkehr des Mahdi kann das islamistische Regime daran auch konkret arbeiten.
Machen wir uns nichts vor: Wenn Iran eine Atommacht werden will, dann kann keiner das Regime stoppen. Darum ist es höchste Zeit, über eine Welt und einen Mittleren Osten nachzudenken, in dem Iran als Nuklearmacht seine Karten ausspielt. Und es ist Zeit, sich auf drei Feldern darauf vorzubereiten: militärisch, machtpolitisch – und durch Friedenspolitik.
Beim atomaren Iran denken viele immer gleich an Israels Bedrohung. Gemach. Israel hat selbst Atomwaffen und wird Iran in der Entwicklung derselben weiter um Jahrzehnte voraus sein. Hier gelten immer noch die Naturgesetze der Abschreckung. Wirklich in Bedrängnis sind die nichtnuklearen Golfstaaten, die Türkei, Ägypten und viele europäische Staaten. Diese Länder könnten sich nun alle – jeder für sich – Raketenschirme anschaffen. Besser aber wäre es, analog zur Nato-Erfahrung aus dem Kalten Krieg über Bündnisse nachzudenken, die ohne amerikanische Führung wahrscheinlich unmöglich sind. Hillary Clinton hat die Errichtung eines “Abwehrschirms” für einige arabische Staaten bereits angedeutet. Für Israel gilt er heute schon. Insbesondere die Golfstaaten aber brauchen diese Sicherheit, denn sie stehen Iran heute ähnlich schutzlos gegenüber wie Westeuropa in den fünfziger Jahren der Sowjetunion. Solche Bündnisse brauchen Vorbereitung, die heute beginnen sollte.
Unter diesem nuklearen Schutzschirm sollten Amerikaner und Europäer den Aufstieg neuer Regionalmächte im Mittleren Osten bewusst fördern: Saudi-Arabien, die Golftiger von Qatar bis Dubai und die Türkei haben Iran heute wirtschaftlich und technologisch längst hinter sich gelassen. Sanktionen gegen Teheran werden diese Kluft weitern. In dem Sinne: Greift Iran nach der Vorherrschaft, hilft der Westen der Konkurrenz auf. Der nukleare Vorsprung Irans könnte durch den Entwicklungsschub seiner Nachbarn neutralisiert werden.
Entscheidend wird es am Ende sein, ob Iran seine Manövrierräume im Mittleren Osten genommen werden. Die Konfrontationen der Bush-Jahre nach dem 11. September schufen das perfekte Klima für Iran, Unfrieden zu säen und seinen Einfluss auszubauen. Eine Entschärfung des israelisch-palästinensischen Konflikts und der Blutfehden im Irak sind deshalb ebenso wichtig wie die Errichtung von Gegengewichten und Abwehrschirmen gegen die iranischen Ambitionen. Wenn der Westen diese drei Aufgaben beharrlich verfolgt, wird er mit Iran irgendwann entspannter sprechen können. Denn Atomwaffen allein machen noch keine regionale Vormacht aus. Wer’s nicht glaubt, reise nach Pjöngjang.
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