Nächster Ausstieg Washington
von Christian Schütte
04.10.2009,
US-Präsident Barack Obama überdenkt seine Afghanistanstrategie. Wenn er sich für perspektivloses Durchwursteln entscheidet, dann können und müssen die Deutschen ihren Rückzug planen.
Für den Afghanistan-Einsatz gibt es ein moralisches, ein sicherheits- und ein bündnispolitisches Argument. Über die Moral redet die Politik gern, über die Sicherheitsfragen nur dann, wenn es unbedingt sein muss. Das Bündnisthema spielt in der deutschen Öffentlichkeit fast keine Rolle.
Für die künftigen Anforderungen an die Bundeswehr ist aber entscheidend, was der führende Partner in Afghanistan tut: die USA. Bevor die Deutschen weiter über eigenes Engagement am Hindukusch streiten, sollten sie genau nach Washington schauen. Barack Obama erwägt inzwischen offenbar einen schrittweisen Ausstieg aus diesem Krieg.
Solange es in Afghanistan für die Bundeswehr relativ ungefährlich war, hat die deutsche Politik sich am liebsten auf moralische Erklärungen beschränkt: Schulen einrichten, Frauenrechte stärken, Demokratie aufbauen – für diese noblen Ziele sollten die Soldaten nach Kabul und Kundus. Inzwischen ist klar, dass diese Begründung allein nicht trägt. Zum einen, weil der Krieg immer blutiger wird. Demokratischer Aufbau ist nur dann möglich, wenn dessen Feinde mit Gewalt bekämpft werden. Zum anderen stellt sich die Frage, warum Deutschland ausgerechnet und ausschließlich in Afghanistan so für Menschenrechte und Demokratie kämpft.
Die Antwort ist natürlich die sicherheitspolitische: Afghanistan war unter der Talibanherrschaft das Basislager al-Kaidas. Den Terroristen diesen Raum zu nehmen bleibt das Hauptziel der internationalen Truppen.
Mehr Soldaten, höhere Risiken
Dabei ging es aber immer auch um Bündnispolitik: Kanzler Gerhard Schröder sicherte den USA nach dem 11. September 2001 zunächst “uneingeschränkte Solidarität” zu. Auch und gerade im transatlantischen Streit um den Irakkrieg war die Präsenz in Afghanistan dann der Beleg dafür, dass die Deutschen sehr wohl gegen Terror kämpfen. Die Bush-Gegner waren sich einig, dass der Krieg im Irak unnötig und falsch, der in Afghanistan aber notwendig und richtig ist.
Je mehr Verluste die Nato-Partner erlitten, die im gefährlichen Süden des Landes kämpfen, desto wichtiger wurde das Thema Bündnissolidarität. Wenn Verbündete sterben, können die Deutschen nicht durch den Hinterausgang verschwinden. Noch dazu, wenn sie im Norden selbst auf logistische und militärische Hilfe der Partner angewiesen sind.
Wie es in Afghanistan weitergeht, hängt jetzt entscheidend von Obama ab. Denn der überdenkt gerade den gesamten Kurs. Seine Militärs vor Ort verlangen Verstärkung für eine “Counterinsurgency”-Strategie, wie sie im Irak erfolgreich war: Statt sich in großen Camps zu verschanzen und von dort zur Talibanjagd auszurücken, sollen kleine Einheiten bei der Bevölkerung leben und diese schützen. So kann Unterstützung im Volk gewonnen und Territorium gesichert werden.
Doch der Preis für diese Strategie ist hoch: mehr Soldaten, die – zumindest anfangs – deutlich höheren Risiken ausgesetzt sind. Indirekt hat diese Risiken sogar schon die Bundeswehr zu spüren bekommen. Nachdem bei einem Luftangriff auf entführte Tanklastzüge nahe Kundus rund 50 Afghanen getötet worden waren, kritisierten US-Militärs in außergewöhnlich scharfer Form den deutschen Offizier, der die Bomber bei ihnen angefordert hatte. In der neuen Logik der “Counterinsurgency” sind Opfer unter der Bevölkerung möglichst zu vermeiden – selbst wenn dadurch eigene Truppen in erhöhte Gefahr geraten.
Obama ist bisher nicht bereit, diese teure Verstärkung zu genehmigen. Die Gründe liegen auf der Hand: Der Präsident steht daheim unter enormem Druck, die Wirtschaft lahmt, die Staatsschulden explodieren, und sein Prestigeprojekt Gesundheitsreform steht auf der Kippe. Er kann daher auch nicht auf jene Parteigänger verzichten, die den Krieg immer lauter ablehnen und den Rückzug fordern.
Es gehe nicht darum, partout in Afghanistan zu bleiben, das Gesicht zu wahren oder klarzumachen, dass Amerika dauerhaft präsent bleibe, hat Obama dieser Tage gesagt. Er werde die ganze Frage sorgfältig prüfen.
Die deutsche Politik sollte genau beobachten, wohin er sich bewegt. Wählt Obama doch die konsequente “Counterinsurgency”-Strategie, dann kommen auf die Bundeswehr neue Risiken und Anforderungen zu. Darüber müsste öffentlich geredet werden.
Ruppige Informationspolitik
Entscheidet sich Obama hingegen für bloßes Durchwursteln, einen Kurs, dessen einzige Perspektive darin besteht, irgendwann geordnet abzuziehen, dann muss das deutsche Engagement reduziert werden. Viel ist dann nämlich nicht mehr zu erreichen. Und es gibt keinen Grund, die Bundeswehr einem langen, blutigen Rückzugsgefecht auszusetzen.
Amerika sei pleite und kriegsmüde, schrieb jüngst ein Kolumnist der Obama-freundlichen “New York Times”. Wolle der Präsident den Krieg in Afghanistan trotzdem fortsetzen, müsse er sein Volk “zu den Waffen rufen” und diesem Aufruf auch Vorrang vor der Gesundheitsreform geben. Das Problem so zu formulieren, heißt, die Antwort bereits vorzugeben: Im Zweifel wird Obama natürlich nicht seine Gesundheitsreform, sondern lieber den zähen Krieg in Afghanistan hintanstellen.
Am Dienstag hat Obama Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen getroffen. In Berlin sollte man aber nicht allzu sehr darauf vertrauen, dass der Präsident seine Strategie erst sorgfältig abstimmt. Die Obama-Regierung hat Verbündete bereits unvermittelt im Regen stehen gelassen. Ganz gleich, was man etwa von ihrer Entscheidung hält, auf die Raketenabwehr in Polen und Tschechien zu verzichten – die Informationspolitik war extrem ruppig. Den Regierungen in Warschau und Prag wurde über Nacht am Telefon mitgeteilt, dass es sich Washington anders überlegt hat.
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