Ein Rückzug wäre kein deutscher Sonderweg
Von Ulrich Ladurner
15.10.2009
Immer noch ist unklar, welche Strategie Präsident Obama in Afghanistan verfolgt. Derweil schaffen Verbündete Fakten: Holland, Kanada, Japan – alle ziehen Truppen ab.
Während in Amerika heftig um die richtige Afghanistan-Strategie gestritten wird – mehr Soldaten oder weniger, Schutz vor den Taliban oder Kampf gegen al-Qaida –, bleibt unklar, welche Ziele die schwarz-gelben Koalitionäre in der Sache verfolgen. Die FDP will alle Auslandseinsätze prüfen; die Union steht zu dem, was Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer jüngsten Regierungserklärung vorgab: Wir stehen zu dem Einsatz, aber Afghanistan muss eine sich selbst tragende Sicherheit herstellen.
So undeutlich die Position der künftigen Regierung ist, so sehr bleibt die deutsche Afghanistan-Debatte geprägt vom schlechten Gewissen. Immerzu haben die Deutschen das Gefühl, dass sie nicht genug tun, dass sie nicht kämpfen wollen, dass sie das Kämpfen sogar verlernt hätten.
Die italienische Regierung hat einen Zeitungsbericht über Bestechungszahlungen an die Taliban in Afghanistan als falsch zurückgewiesen.
Verschiedene Nato-Partner haben mit solchen Vorwürfen in der Vergangenheit gehörig Druck ausgeübt. Das Ziel war, den Deutschen mehr Soldaten abzuringen, mehr Material, mehr Geld.
Die Bundesregierung hat diesem Druck einigermaßen erfolgreich widerstanden, doch ist es ihr nicht gelungen, den Schatten zu verscheuchen, der über den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan liegt: der Vorwurf nämlich, man sei zu feige; man ließe die anderen kämpfen, während man sich selbst hinter den Kasernenmauern in einem relativ sicheren Teil Afghanistans verschanze und es sich gemütlich mache.
Die von der Bundeswehr befohlene Bombardierung zweier Tanklastzüge, bei der Anfang September Dutzende Menschen ums Leben kamen, erscheint in diesem Licht fast schon wie eine Überreaktion auf eine allzu lange still erduldete Denunziation.
Auf die Vorwürfe reagieren viele in Deutschland mit einer Mischung aus Selbstzerknirschung und Besserwisserei. Was aber fehlt, ist eine rationale Betrachtung des Problems. Dazu hilft ein Blick auf die Bündnispartner.
Das Parlament der Niederlande hat jüngst einen konkreten Termin für den Abzug ihrer 1400 Soldaten aus Afghanistan genannt: den Herbst 2010. Das kanadische Parlament (die Kanadier sind immerhin der viertgrößte Truppensteller und sie haben einen hohen Blutzoll bezahlt) hat 2011 für den Abzug seiner Soldaten festgesetzt. Diese Woche nun kündigte die japanische Regierung an, dass sie ihre logistische Unterstützung des Einsatzes im Januar 2010 beenden wird.
Freilich, Japans Beitrag hält sich in Grenzen. Das Land entsandte zwei Kriegsschiffe in den Indischen Ozean, um bei der Treibstoffversorgung der Nato-Truppen zu helfen. Doch ist die Ankündigung der Japaner ein weiteres Moment im sich zunehmend selbst verstärkenden Prozess des unkoordinierten Rückzugs der westlichen Partner. Weitere entsprechende Entscheidungen werden folgen. Die Italiener beispielsweise reden schon von einer „Strategie des Übergangs“. Es wird nicht mehr lange dauern, bis auch sie einen konkreten Abzugstermin nennen werden.
Wer diese Entwicklung übersieht, begreift, dass die Deutschen nicht alleine am Sinn des Einsatzes zweifeln. Viele andere Nationen teilen die Bedenken. Wenn also in Deutschland von Rückzug geredet wird, dann ist das gewiss kein deutscher Sonderweg.
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