Colonial Behavior

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Koloniales Gehabe

Von Christine Möllhoff

Am Ende blieb Hamid Karsai kaum noch etwas anderes übrig, als klein beizugeben und einer Stichwahl zuzustimmen. So groß war der geballte internationale Druck geworden. Zuletzt hatten die USA Karsai sogar gedroht, die Entscheidung über eine Aufstockung der Truppen am Hindukusch auszusetzen, bis in Kabul eine “glaubwürdige” Regierung im Amt ist.

Seite an Seite mit US-Senator John Kerry, dem UN-Sondergesandten Kai Eide und drei westlichen Botschaftern trat Karsai vor die Presse, um die Stichwahl anzukündigen. Damit wollte man wohl Einheit demonstrieren.

Doch der Auftritt offenbarte ungewollt: Nicht die Afghanen, sondern die USA, der Westen bestimmen die Geschicke des Landes und entscheiden über die Gültigkeit des Wahlausgangs. Das ist ein fatales Signal. Tatsächlich verstärkt es den Eindruck vieler Afghanen, dass die Amerikaner nur verkappte Besatzer sind, die eine ihnen genehme Marionetten-Regierung installieren wollen.

Statt sich nur über den Wahlbetrug zu echauffieren, sollten die USA und Europa auch über die eigene Rolle nachdenken. Sie sind an diesem Wahldebakel nicht unschuldig. Schon Wochen vor dem Urnengang war absehbar, dass vor allem Karsai Wahlbetrug in großem Stile plant. Doch die internationale Gemeinschaft sah sprach- und tatenlos zu.

Kein Ausweg, keine Lösung

Auch der US-Sondergesandte Richard Holbrooke spielte eine wenig glückliche Rolle. Mit seinen Attacken trieb er Karsai immer weiter in die Konfrontation. Es spricht Bände, dass nun Senator Kerry Karsai zum Einlenken bewegen musste. Die Obama-Regierung sollte sich fragen, ob der polterige Holbrooke tatsächlich der richtige Mann für diesen Posten ist.

Die Lage ist inzwischen so verfahren, dass es keinen wirklich guten Ausweg, keine Lösung mehr gibt. Gegen viel Widerstand auch in den Vereinten Nationen haben die USA zwar nun eine teure – und wahrscheinlich auch wieder von Gewalttaten begleitete – Stichwahl durchgeboxt, aber ob diese glaubwürdig wird, steht in den Sternen. Niemand sollte sich täuschen: Den USA geht es dabei kaum um die Demokratie. Millionen Afghanen sollen erneut ihr Leben riskieren, damit Washington und der Westen das Gesicht wahren und zu Hause die wachsende Kritik am Einsatz ersticken können.

Die USA und Europa haben den Urnengang zum Erfolgsausweis für den Einsatz am Hindukusch hochgejubelt. Das war von vornherein gewagt und unsinnig. Der Erfolg in Afghanistan bemisst sich zuerst daran, ob die Afghanen in Frieden leben können und der Terror besiegt wird. Aber dass sich eine traditionelle Stammesgesellschaft wie Afghanistan in acht Jahren zur Vorzeigedemokratie mausert, war immer eine naive Illusion.

Retten, was noch zu retten ist

Nun geht es vor allem um Schadensbegrenzung. Der massive Wahlbetrug hat das Vertrauen der Afghanen in die Regierung und die Politik schwer erschüttert. Auch das zweimonatige Gezerre um den Wahlausgang hat den Glauben an die Demokratie nicht gefestigt, zumal der Westen sich schamlos einmischte. Die USA und Europa müssen versuchen zu retten, was noch zu retten ist.

Sie müssen alles tun, dass die Stichwahl den Afghanen zumindest ein Stück Vertrauen in die Demokratie zurückgibt. Konkret heißt das: Die Amerikaner und ihre Verbündeten müssen weitaus wirksamer als bei der Wahl am 20. August die Wähler vor den Taliban schützen. Die internationale Gemeinschaft muss darauf achten, dass weniger geschummelt wird. Ganz ohne Betrug, das ist sicher, wird auch die Stichwahl nicht abgehen.

Vor allem sollten die USA koloniales Gehabe vermeiden. Sie müssen der Versuchung widerstehen, sich in den Wahlkampf einzumischen. Viele Afghanen glauben, dass die Amerikaner die Wahlen nur benutzen, um einen ihnen genehmen Präsidenten zu installieren. Angeblich fürchtete der ehemalige Bush-Günstling Karsai, dass die Obama-Regierung ihn bei einer Stichwahl um den Sieg bringen und den Gegenkandidaten Abdullah stützen könnte. Der Wahrheitsgehalt dieser Gerüchte ist unklar.

Karsai hat den Sieg nicht sicher in der Tasche. Das Rennen zwischen ihm und Abdullah könnte knapper werden als gedacht. Andernfalls hätte sich Karsai nicht zwei Monate lang mit Händen und Füßen gegen die Stichwahl gesträubt. Aber es ist Sache der Afghanen über ihren Präsidenten zu entscheiden, nicht Washingtons. Das sollte sich vor allem Holbrooke hinter die Ohren schreiben.

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