Baghdad Blues

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Bagdad Blues

Ein Kommentar von Tomas Avenarius

27.10.2009

Der schwere Terroranschlag im Irak zeigt: Premier Malikis Polizei und Soldaten erfüllen ihre Aufgabe nicht. Doch auch US-Präsident Obama setzt die Sicherheit des Landes aufs Spiel.

Nuri al-Maliki, der irakische Premier, versteht sich auf sinnentleerte Dramatik: “Blutbefleckte, schwarze Hände wollen unser Land ins Chaos stürzen, den politischen Prozess aufhalten, die Parlamentswahl verhindern.”

Was soll der Mann angesichts von 155 Toten und 500 Verletzten auch sagen? Seit er das Truppenabkommen mit den USA unterschrieben hat, trägt er praktisch alleine Verantwortung für die Sicherheit im Irak. Also lenkt er nach den Anschlägen vom eigenen Versagen ab: Er verweist zweideutig auf die angebliche Mittäterschaft Syriens.

Zwar lässt sich nicht von der Hand weisen, dass ein Teil der Rebellen über das Nachbarland kommt, und dass Hintermänner in Syrien Unterschlupf finden. Aber Verantwortung für die Sicherheit im Land trägt der irakische Premier, nicht der syrische Staatschef.

Rund um die angegriffenen Regierungsgebäude befinden sich mehrere Kontrollpunkte, besetzt mit irakischen Soldaten und Polizisten. Die rollenden Bomben müssen an ihnen vorbeigekommen sein – einer der Wagen war angeblich mit einer Tonne, der andere mit 700 Kilo Sprengstoff beladen. Entweder haben die Attentäter die Sicherheitskräfte bestochen, oder die Posten haben ihre Arbeit nicht gemacht.

Malikis Soldaten und Polizisten haben jedenfalls wieder einmal bewiesen, dass sie ihre Aufgabe nicht erfüllen. “Schwarze Hände” finden sich demnach auch in den Reihen seiner Sicherheitskräfte.

Bis August 2010 will US-Präsident Barack Obama 50.000 Mann aus dem Irak abziehen, vor allem Kampftruppen. Zwar bleiben immer noch 60.000 uniformierte Amerikaner im Land. Aber ein guter Teil von ihnen kümmert sich um die eigene Versorgung, Verwaltung und Sicherheit oder bereitet den endgültigen Abzug vor. Hinzu kommt die Ausbildung der irakischen Sicherheitskräfte. Sollte es zu neuer, flächendeckender Gewalt kommen, werden kaum genug US-Soldaten zur Stelle sein, den Irakern zur Seite zu springen. Der Abzug großer Truppeneinheiten wird über Monate vorbereitet. Er kann nicht innerhalb von Tagen rückgängig gemacht werden.

Der Irak-Abzug wird bald ein unumkehrbarer Prozess sein – unabhängig von der Lage im Land. Das wissen die Führer der Rebellengruppen – von al-Qaida bis zu den sunnitischen Baathisten. Viele haben sich zurückgezogen im Wissen, dass die US-Armee nicht ewig bleibt, der Kampf um die Macht dann zwischen Irakern ausgetragen wird.

Da Bagdad die Hoffnung der sunnitischen Stammesmilizen auf Aufnahme in die Armee enttäuscht hat, könnten viele dieser Milizionäre ebenfalls zurück in den Untergrund gehen. Die Lage im Irak ist schöngeredet worden in den vergangenen Monaten.

Im Januar soll das neue Parlament gewählt werden. Das Abgeordnetenhaus kann sich aber nicht auf die Reform des Wahlgesetzes einigen, das für die neue Parteienlandschaft nötig sein wird. Alte Bündnisse sind zerfallen, neue bilden sich. Mit einem neuen Gesetz hätten frische Kräfte eine Chance auf Machtteilhabe. Doch die etablierten Gruppen wehren sich gegen Konkurrenz.

Maliki kann dem Parlament zwar keine Vorschriften machen. Aber für das Chaos trägt er als starker Mann Mitverantwortung. Er hat auch keine brauchbaren Vorschläge gemacht für die Lösung des Kirkuk-Problems: Die Ölstadt bleibt zwischen den Volksgruppen umstritten. An Kirkuk kann sich ein offener Konflikt zwischen Bagdad und den Kurden entzünden.

So müssen sich der irakische Regierungschef und der amerikanische Präsident fragen lassen, warum sie die von der US-Armee seit 2007 erkämpfte Sicherheit wieder aufs Spiel setzen. Maliki, indem er Sicherheit verspricht, sie aber nicht bieten kann. Und Obama, indem er sich in ein Zeitkorsett zwingt, das ihm militärisch und politisch jede Luft nimmt.

(SZ vom 27.10.2009/hai)

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