Enlist to Survive

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Soldat werden, um zu überleben

Von E. F. Kaeding

31.10.2009

Trotz Afghanistan und Irak: Die amerikanische Berufsarmee hat mehr Bewerber als je zuvor. Grund ist die anhaltende Misere auf dem Arbeitsmarkt.

Selbstmordattentäter, Straßenbomben, der Gegner trägt keine Uniformen — die Militäreinsätze im Irak und in Afghanistan gelten nicht nur unter Experten als brandgefährlich. Auch die amerikanische Jugend weiß um das Risiko. Entsprechend ging die Zahl neuer Rekruten in den vergangenen Jahren steil bergab. Das Soldatenleben galt als unpopulär, und zur Armee kamen nur noch die Unqualifizierten, Übergewichtigen und immer mehr ehemalige Straftäter.

Diese Zeiten scheinen jetzt zu Ende: Seit ein paar Monaten muss die U. S. Army einen überdurchschnittlich großen Andrang von neuen Bewerbern bewältigen. Genauer gesagt ist es sogar der größte Zulauf seit 1973, als man im Zuge des Vietnamkriegs den Wehrdienst abschaffte. Die Zahlen, schwärmte Bill Carr, zuständig für die Personalpolitik des Militärs, übertreffen alle Erwartungen. Zum ersten Mal in 35 Jahren konnten die Armee, die Luftwaffe und die Marine, ihre Zielvorgaben für neue Rekruten erfüllen. Aber Carr weiß: Der Grund des Ansturms ist nicht der viel gerühmte US-Patriotismus. Vielmehr sei die trotz des jüngst gemessenen Wachstums anhaltend schlechte Wirtschaftslage die treibende Kraft dahinter.

Allein im September gingen in den USA 263.000 Jobs verloren, 62.000 Stellen mehr als im Vormonat. Ohne die Wirtschaftskrise, erzählt ein 25-Jähriger, der sich gerade für die Navy eingeschrieben hat, wäre er nie auf die Idee gekommen, dem Vaterland als Soldat zu dienen. Finanziell ging es ihm gut, bis zu Krise. Jetzt liegen vier Jahre bei der Marine vor ihm.

Zwar erholt sich die Wirtschaft langsam, doch die Zahl der Arbeitslosen wächst in der Zwischenzeit weiter: von 9,7 Prozent im August auf 9.8 Prozent im September, Tendenz steigend. Es ist die höchste Arbeitslosenquote seit Juli 1983, damals lag der Wert bei 10,1 Prozent. Erschwerend für viele kommt hinzu, dass Arbeitslosenhilfe in den USA meist nur für eine sehr kurze Zeit gewährt wird, in manchen Fällen nicht länger als ein halbes Jahr. Trotzdem müssen anfallende Rechnungen und Hypotheken bezahlt werden. Viele Möglichkeiten bleiben da nicht. Entweder man hofft auf die kurzzeitige und dürftige Hilfe vom Staat oder man schlägt sich mit gleich mehreren Jobs durch, weil die Dumpinglöhne nicht genug abwerfen, um eine Familie durchzubringen.

Auf der Suche nach finanzieller Sicherheit entscheiden sich daher mehr und mehr für einen Zwischenstopp bei der U. S. Army. Die sorgt gut für ihre Angehörigen: Berufssoldaten bekommen nicht nur Verpflegung und einen regelmäßigen Gehaltscheck, nach erfüllter Dienstzeit bietet einem das Militär außerdem eine reiche Auswahl von Vergünstigungen an. Sie erhalten billige Kredite und haben gute Karrierechancen. Durch die neue G.I. Bill soll den Soldaten die Wiedereingliederung in das Berufsleben und der Zugang zu Universitäten erleichtert werden.

Freiwillige sind in Zeiten der wirtschaftlichen Flaute nichts Ungewöhnliches. Aber ihre gegenwärtige Menge überrascht selbst das Militär. Noch vor ein paar Jahren flohen angehende Soldaten über die Grenze nach Kanada und galten fortan lieber als fahnenflüchtig, als zur Waffe greifen zu müssen. Die blutigen Kämpfe in Afghanistan und im Irak, bei denen bis heute über 5000 US-Soldaten ihr Leben lassen mussten, schreckten ab. Qualifizierte Antragsteller waren so schwer zu finden, dass Rekrutenanwerber begannen, Teenager, die aus ihrem Militärvertrag aussteigen wollten, zu belügen und zu bedrohen, um sie nicht als Soldaten zu verlieren. Mit der düsteren Situation auf dem Arbeitsmarkt aber brechen nun rosige Zeiten für das Militär an.

Auch die Qualität des Personals verbessert sich zunehmend. Hochqualifizierte, die von ihrem Arbeitgeber gekündigt wurden oder nach ihrem Studium mit einem 30.000-Dollar-Kredit dastehen, aber keinen Job finden, lassen sich verstärkt von den Karrieremöglichkeiten und Vergünstigungen des Soldatenlebens locken. Damit erfüllt sich auch endlich wieder das selbst auferlegte Ziel des Militärs, demzufolge mindestens 90 Prozent des Personals einen Highschool-Abschluss besitzen solle. Noch 2008 lag der Anteil bei gerade einmal 83 Prozent, diese Jahr wurde der Vorsatz bereits um fünf Prozent übertroffen. Die Armee stelle eben immer ein und es gebe keine Entlassungen, bringt ein Kompanieführer die Situation auf den Punkt.

Obama kann die Entwicklung nur recht sein. Viele, die sich jetzt zur Armee melden, hoffen zwar, um einen Kriegseinsatz herum zu kommen, wenn der versprochene Truppenabzug im August 2010 anläuft. Doch durch das Wiederaufflackern des Terrors im Irak könnte sich der Präsident gezwungen sehen, den Abzug zugunsten der Sicherheit und Stabilität der Region auf ein späteres Datum zu verschieben. Auch in Afghanistan werden die Forderungen nach einer Strategieänderung und zusätzlichen Bodentruppen immer lauter. Frische Soldaten für den Fronteinsatz sind da gerne gesehen. Und das, obwohl die meisten der neuen Rekruten eigentlich nur eins wollen: in Zeiten der finanziellen Unsicherheit überleben.

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