The Boom in Cynicism

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Der Boom der Zyniker

Von Nikolaus Piper

11.11.2009, 12:39

Die Aktienkurse steigen rasant – und klar ist: Die Unvernunft stirbt nie aus. Aber diesmal sollten nur die Spekulanten verlieren, wenn die Blase platzt.

Die Börsen spielen verrückt. Am Montag ist der Dow-Jones-Index in New York um über 200 Punkte auf den höchsten Stand seit 13 Monaten gesprungen. Gold ist so teuer wie noch nie in der Geschichte, der Dollar wird immer schwächer und nähert sich allmählich wieder dem Kurs, den er kurz vor Ausbruch der großen Krise im vergangenen Jahr hatte. Die Händler bei Banken und Hedgefonds kaufen Aktien und Rohstoffe, als stünde ein Boom bevor. Sie kaufen Gold, als müssten sie sich vor Inflation schützen. Und sie verkaufen Dollar, als blieben Amerikas Zinsen auf alle Zeiten bei null.

Mit der Wirklichkeit hat dies alles nichts zu tun. Die Arbeitslosigkeit in den Vereinigten Staaten steigt noch schneller als befürchtet, was bedeutet, dass der nächste Aufschwung sehr schwach ausfallen wird. Fabriken stehen leer und die Arbeitskosten sinken – beides starke Anzeichen, dass es keine Inflationsgefahr gibt. Und natürlich ist klar, dass der Verfall des Dollar-Kurses nicht immer weiter gehen kann und dass die Zinsen auch in den USA wieder steigen werden.

Neue Spekulationsblase

Ein Jahr nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers hat sich an den Finanzmärkten eine neue Spekulationsblase gebildet. Die Blase wurde ermöglicht von den Regierungen und Notenbanken in Amerika und Europa. Sie bekämpften die Wirtschafts- und Finanzkrise, indem sie Billionen Dollar und Euro in die Wirtschaft pumpten.

Die Therapie funktionierte, die Welt steht jetzt nicht mehr am Abgrund. Aber die Lage ist deswegen noch lange nicht normal. Das überschüssige Geld muss irgendwann wieder abgepumpt werden. Alle Beteiligten wissen das, aber sie spekulieren trotzdem weiter. In New York spricht man inzwischen von einem “Boom der Skeptiker”; die Spekulanten wollen einfach mitspielen und Gewinne einfahren, ehe die Musik aufhört und es zu spät ist. Man könnte auch von einem Boom der Zyniker sprechen.

Im Zuge der Krise hat die Welt viel über das Wirken von Finanzmärkten gelernt. Dazu gehört die Erkenntnis, dass es sich für einen Händler lohnt, auf steigende Kurse zu spekulieren, selbst dann, wenn er genau weiß, dass diese Kurse längst überhöht sind.

Er muss nur glauben, dass die anderen dies nicht wissen. Und selbst wenn er nicht mehr rechtzeitig aussteigen kann, macht dies nichts. Wenn er mit allen anderen verliert, steht er vor seinen Chefs und Kunden immer noch besser da, als wenn er eine kurzfristige Gewinnchance auslässt. Im Nachklang zur Finanzkrise ist das Denken bei den Investmentbanken noch kurzfristiger geworden. Wenn die Blase platzt, werden all jene viel Geld verlieren, die im letzten Augenblick noch eingestiegen sind. Darüber hinaus dürften die Folgen aber begrenzt bleiben. Entscheidend ist, dass sich die Politik von der Euphorie an den Börsen nicht mitreißen lässt.

Die Bankenkrise ist noch lange nicht gelöst. In Deutschland meldet die Bayerische Landesbank neue Milliardenverluste, in den USA haben die Behörden allein am Freitag, weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit, fünf Banken geschlossen, um sie vor dem Zusammenbruch zu bewahren. Auf bisher drei Weltfinanzgipfeln haben die Regierungen die richtigen Dinge beschlossen, die meisten dieser Beschlüsse sind aber noch nicht umgesetzt.

Die Frage ist offen, wann und mit welchem Tempo die Notenbanken die Geldversorgung normalisieren können, ohne einen neuen Rückschlag zu provozieren. Die gegenwärtige Situation ist historisch gesehen ohne Beispiel. US-Notenbankchef Ben Bernanke, der Präsident der Europäischen Zentralbank, Jean-Claude Trichet, und ihre Kollegen bewegen sich auf völlig unerforschtem Terrain.

Die jüngsten Ausschläge an den Börsen zeigen zumindest eines: Menschliche Unvernunft wird nie aussterben, erst recht nicht an den Finanzmärkten. Man muss dafür sorgen, dass dabei, außer den Unvernünftigen selbst, möglichst wenig andere zu Schaden kommen.

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