From Savior to “Parasite in Chief”

Edited by Alex Brewer

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Vom Hoffnungsträger zum “obersten Parasiten”

Von Jörg Häntzschel

16.11.2009, 18:19

Ein Jahr nach der US-Wahl ist die Obama-Euphorie abgeebbt: Die Linke ist enttäuscht oder ungeduldig. Die Rechte aber schäumt vor Wut und Hass.

Obama, AFPGrossbild

Das Freimaurertum, schrieb David Bernard 1829, sei die gefährlichste Institution, von der die Menschheit jemals heimgesucht worden sei, “ein Motor Satans, egoistisch, demoralisierend, blasphemisch, mörderisch, antichristlich.”

Sechs Jahre später warnte Samuel Morse, der Erfinder des Telegrafen, vor einer neuen Gefahr: den Jesuiten. “Eine Verschwörung ist im Gange, und ihre Pläne werden schon jetzt ausgeführt.” Ein anonymer Autor fügte hinzu: “Sie treiben überall in den Vereinigten Staaten ihr Unwesen, um den Papismus zu verbreiten.” Die Katholiken werden “unsere Wahlen entscheiden, die Nation teilen und unsere freien Institutionen stürzen”, raunte auch Lyman Beecher.

Amerikanische Konstante: Paranoia

Der Historiker Richard Hofstadter zitiert diese aufgeregten Stimmen in seinem 1964 erschienenen Essay “The Paranoid Style in American Politics”. Er beschreibt darin eine Konstante der amerikanischen Geschichte: die Überzeugung einer meist rechts stehenden Minderheit, Amerika und sein Wertesystem werde bald von einer fremden Kultur verschlungen, deren Agenten bereits die Gesellschaft infiltriert hätten. Mal waren es die Illuminaten, mal die Katholiken oder die Kommunisten.

Hofstadters Essay hat nun eine fast unheimliche Aktualität bekommen. Ganze Passagen lesen sich wie Beschreibungen des neuen rechten Milieus, das wie über Nacht aus dem Sumpf politischen Desinteresses aufgestiegen ist. Mit ihren “Tea Parties” und ihrer apokalyptischen Rhetorik erschienen die Protestler anfangs wie marginale rechte Spinner. Nun entwickeln sie sich zur ernstzunehmenden politischen Kraft.

Als Obama gewählt wurde, versprach er, die nationale Spaltung zu überwinden, die Kulturkämpfe zu befrieden, die Amerika in den 90ern umgetrieben hatten. Er mobilisierte die Linke wie kein anderer, gewann die Wahl aber mit Stimmen der Mitte. Selten schien jemand so qualifiziert zu sein für die Rolle des Einigers. Er personifizierte das Gegenmodell zu Hofstadters “paranoidem Stil”.

Doch als Präsident war er mit seiner Besonnenheit weniger erfolgreich als im Wahlkampf. Gesundheitsreform, Klimapolitik, Finanzsystem, Guantanamo, Irak und Afghanistan: Immer ungeduldiger warten viele Wähler auf den versprochenen “Wandel”. Die Buttons mit seinem Gesicht, die man noch im Sommer auf Jacken und Taschen sah, sind verschwunden. Seine Umfragewerte sacken ab.

“Zu kompromisslerisch”

Vor Kurzem erinnerten in Washington 150.000 Schwule und Lesben zornig an seine Wahlversprechen. Er sei “zu vorsichtig”, “zu kompromisslerisch”, hieß es am Jahrestag seiner Wahl überall. Paul Krugman schrieb in der New York Times, “Obama hat sein Programm in Gefahr gebracht, weil er zu wenig unternommen hat.” Und sein Times-Kollege Nicholas Kristof fand: “Die Wähler sind der intellektuellen Reserviertheit müde.”

Gegner nennen Krankenversicherung “nationalsozialistisch”

Obama in der Kritik

16.11.2009, 18:19

Kaum einer kritisierte ihn in den letzten Wochen so scharf wie Cornel West, der schwarze Philosoph, Aktivist und Princeton-Professor: Obama “hört auf die technokratische Elite in seinem Wirtschaftsteam, die sich nie um die Armen geschert hat. Er ist fasziniert von ihrer Intelligenz und ihrem Status. Er hat progressive Instinkte, aber ihm fehlt der Mut, wirklich Neues zu wagen – und dafür vielleicht den höchsten Preis zu zahlen, wie Brother Martin” – Luther King nämlich.

Wests dramatische Worte illustrieren, wie schnell seine magnetische Anziehungskraft auf der Linken nachlässt. Und die Rechte rückt, statt seine Kompromissangebote anzunehmen, immer weiter nach rechts. Das Vakuum, das die Neocons hinterlassen haben, wurde nicht etwa von besonnenen Leuten wie John McCain gefüllt, sondern von einer Bewegung, die Hofstadters Analyse Punkt für Punkt gleicht: von wütenden Weißen, die wieder einmal ihr Land verlorengehen sehen.

Fox News keilt gegen den Präsidenten

Die neue Polarisierung lässt sich an den drei großen Nachrichtenkanälen verfolgen: Der linke MSNBC und der rechte Fox News feiern seit Monaten wachsende Einschaltquoten, während der neutrale einstige Marktführer CNN immer mehr Zuschauer verliert. Lou Dobbs, der stramm rechte Anchorman, der als Einziger auf CNN Meinungsjournalismus machte, zog am Donnerstag die Konsequenzen und kündigte.

Das “Tea Party Movement” hatte seine Initialzündung, als sich der CNBC-Reporter Rick Santelli während eines Live-Berichts von der Chicagoer Börse über ein Hilfsprogramm für Hausbesitzer erregte, die ihre Kredite nicht bedienen können. Statt “Loser-Kredite” zu subventionieren, solle der Staat Leuten helfen, “die das Wasser tragen können, statt es nur zu trinken.”

Rechte Einpeitscher geißeln Reformpläne

Doch die eigentlichen Helden der Bewegung sind der Radio-Einpeitscher Rush Limbaugh und Glenn Beck, der sein Land auf Fox News allnachmittaglich wahlweise in Kommunismus oder Nationalsozialismus untergehen sieht. Eine seiner typischen Tiraden gegen eine staatliche Krankenversicherung begann mit einer drastisch illustrierten Lektion zu Hitlers Eugenik-Programm, führte von dort zu seiner mit einer Behinderung geborenen Tochter, und dann – nach einem Weinkrampf – direkt weiter zu Obamas Reformplänen.

Der rechte Mob hat Becks Ikonographie und Rhetorik schnell kopiert. Die Demonstranten nennen Obama “Parasite-In-Chief” oder parodieren das “Hope”-Plakat mit dem Wort “Treason”- Verrat. “Sozialistische Gesundheitsfürsorge, finanziert vom kommunistischen China” stand auf einem anderen. Vorletzte Woche hielten einige vor dem Kapitol Bilder von Leichenbergen aus Dachau in die Kameras. “Nationalsozialistische Krankenversicherung” stand darunter.

Wie selbstverständlich eignet sich die neue Rechte die Strategien und Ikonographie der Linken an. Selbst das Symbol der geballten Faust haben sie übernommen. Die Tea-Party-Aktivisten bekennen, Saul Alinskys “Rules for Radicals” studiert zu haben, das klassische Handbuch des linken Aktivismus, von dem nicht zuletzt Obama in seiner Zeit als Community Organizer gelernt hat.

Starke Wirtschaftslobby steht hinter den Protesten

Doch ganz so spontan sind die Proteste nicht. Eher Kunstrasen als Graswurzel, schreiben die Kommentatoren. Hinter ihnen stehen Organisationen wie “FreedomWorks”, die von dem Verleger Steve Forbes mitfinanziert wird, und deren Vorsitzender der frühere Kongressabgeordnete Dick Armey ist; und “Americans for Prosperity”, eine Gruppe, die ihr Geld vom Industriemulti Koch Industries erhält, deren Gründer Fred Koch einer der Initiatoren der John Birch Society war, über die sich Bob Dylan schon 1970 in seinem “Talkin’ John Birch Paranoid Blues” lustig machte: “I was feelin’ sad and feelin’ blue / I didn’t know what in the world I was gonna do / Them Communists they wus comin’ around, / They wus in the air / They wus on the ground.”

Dylans Song beschreibt auch die heutige “irrationale Rechte” treffend. Außer ihrer Ablehnung des neuen diplomatischen Kurses in der Außenpolitik haben sie nichts zu bieten als ihre Fundamentalopposition gegen Staat und Steuern. Dieses ideologische Besteck genügt, um jedes Projekt, von der Gesundheitsreform bis zum Klimaabkommen, zu zerreißen.

Atheistische Ego-Philosophie für Bush-Republikaner

Eine der Vordenkerinnen der neuen Rechten ist die Schriftstellerin Ayn Rand. Ihr Hauptwerk “Atlas Shrugged”, ein Lobgesang auf Kapitalismus, Individualismus und “Selfishness”, ist eine der Bibeln der Bewegung. “Kein Wunder”, schreibt Yaron Brook, der Direktor des Ayn-Rand-Instituts, im Wall Street Journal: “Rand erzählt, wie die US-Wirtschaft unter staatlicher Regulierung zugrunde geht. Doch Washington, das die Gier und den freien Markt verantwortlich macht, reagiert mit mehr staatlicher Kontrolle, die die Krise nur verschärft. Klingt bekannt, oder?”

Rands atheistische Ego-Philosophie kollidiert mit dem ideologisch-religiösen Überbau der Bush-Republikaner. Dick Armey von FreedomWorks hält den Irak-Krieg für einen Fehler, kritisiert die restriktive Einwanderungspolitik der letzten Jahre und plädiert dafür, sich aus sozialen Themen wie Abtreibung herauszuhalten. “Wenn wir Republikaner gegen die Macht des Staats kämpfen, gewinnen wir; sind wir für ihren Ausbau, verlieren wir.”

Da das republikanische Establishment nicht zögert, der “legitimen politischen Rebellion” (so der Republikaner John Boehner) seine Türen zu öffnen, deutet sich ein fundamentaler ideologischer Schwenk an: Bushs zuverlässigstes Wählerlager, die christliche Rechte, verliert an Einfluss. Die sozialen Themen, die berühmten “Werte” rücken in den Hintergrund. Die “culture wars” der neunziger Jahre sind beendet, konstatierte schon die New York Times.

Doch das Gerede von Kommunismus und Nationalsozialismus durchzieht noch ein ganz anderes Motiv: Der Hass auf Obama selbst, der sich erstmals mit den Rufen “Verräter!” und “Tötet ihn!” auf den Wahlveranstaltungen von McCain und Palin Luft machte und der seither im amerikanischen Untergrund brodelt und brodelt. Die Plakate, die Obama als Joker zeigen, den Bösewicht aus “The Dark Knight”, sind da noch harmlos.

Seit Beck bei Obama einen “tiefen Hass gegen Weiße” diagnostizierte und ihn als “Rassisten” bezeichnete, ist es auch erlaubt, Obama als Sambo zu zeigen, die Figur aus den Urzeiten des Rassenhasses. Der schwarze Radio-Talker Mason Weaver geht in seinen schwindelerregenden Reden weiter: Der Präsident wolle das Land versklaven, donnert er in sein überwiegend weißes Publikum: “Sie sind in euer Haus eingebrochen. Sie haben euer Geld geraubt. Welchen Wandel wollt ihr? Zurück in die Sklaverei?”

Probleme mit dem “eigenen” Gesicht

Doch für die erfolgversprechendste Methode, Obama als Agenten des Fremden und Unamerikanischen zu enttarnen, scheint die Rechte immer noch die Theorie zu halten, er sei in Kenia oder Indonesien geboren worden. “Ken-ya trust Obama?” fragen die Anhänger des sogenannten birther movement.

“Obama ist das Gesicht des Landes, und damit ist er ihr Gesicht. Das macht sie wütender, als sie es ausdrücken können”, sagt der Kulturkritiker Greil Marcus. “Doch wer, wie viele Amerikaner, Obamas Legitimität in Frage stellt, stellt auch die eigene Legimität in Frage. Die Ablehnung des Präsidenten durch einen Teil des Landes ist eine Ablehnung des Landes selbst.”

(SZ vom 16.11.2009/yas)

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