Parading Toward Retreat

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Aufmarsch für den Abzug

Von Christoph von Marschall

26.11.2009

In den USA ist Obamas Afghanistan-Kurs unpopulär. Alle Nato-Staaten wünschen sich eine Abzugsperspektive. Die Definition des “Erfolges”wird immer weiter heruntergeschraubt. Von westlicher Demokratie spricht kaum noch einer. Ziel ist nur noch ein Afghanistan, in dem keine Terroranschläge mehr geplant werden.

Der Vorgänger verfolgt ihn noch immer. Von George W. Bush hat Barack Obama eine tiefe Wirtschaftskrise und zwei Kriege geerbt. Den im Irak hat er stets einen Fehler genannt, den in Afghanistan dagegen einen „war of necessity“: einen Krieg, der Amerika von außen aufgezwungen wurde und den es gewinnen muss. Die Lage dort hat sich jedoch dramatisch verschlechtert – in Obamas Augen, weil Bush Afghanistan vernachlässigt habe. Um das auszugleichen, wird er nun dessen Irakkurs auf Afghanistan übertragen und nächsten Dienstag eine Verstärkung um 30 000 Mann ankündigen. Der Aufmarsch sei der einzige Weg, um die Lage zu wenden. Erst dann sei der Abzug möglich.

Ähnliches hatte Bush 2007 für Irak angeordnet. Der Erfolg gab ihm recht. Parallel zur Verstärkung um 30 000 Mann wechselten sunnitische Stämme, die den Widerstand unterstützt hatten, die Seite. Dank der Stabilisierung konnte Obama dann den Abzug aus dem Irak einleiten.

In Afghanistan wirkt er nun selbst wie ein Militarist. Als er im Januar ins Weiße Haus einzog, hatten die USA 33 000 Soldaten dort. Im März ordnete er eine Verdoppelung auf 68 000 Mann an. Die erneute Verstärkung bedeutet eine Verdreifachung der Truppen unter seiner Führung – nur wenige Tage, bevor er in Oslo den Friedensnobelpreis entgegennimmt.

Bush hat sich gerühmt, er treffe solche Entscheidungen „aus dem Bauch“. Obama ist ein Kopfmensch. Seit Wochen berät er sich mit seinen Ministern, Militärs und Wirtschaftsexperten. Die Republikaner verhöhnen ihn als „Zauderer“. Das Weiße Haus entgegnet, es sei wichtiger, richtig, als schnell zu entscheiden. Die Truppenstärke ist nur ein Aspekt von vielen. Es geht um eine neue Gesamtstrategie, bei der ziviler Aufbau und militärische Sicherheit ineinandergreifen. Die Mittel sind Afghanisierung und Regionalisierung. Afghanisierung: Ein Gutteil der neuen Truppen dient der beschleunigten Ausbildung afghanischer Armee und Polizei. Bis 2012 soll die Zahl der einheimischen Soldaten von 92 000 auf 240 000 steigen, die der Polizisten von 84 000 auf 160 000. Regionalisierung: Die Zentralregierung in Kabul unter Hamid Karsai ist schwach, aber in einzelnen Provinzen gibt es durchsetzungsstarke lokale Herrscher, die auch ohne Nato-Unterstützung Sicherheit garantieren können.

In den USA ist Obamas Kurs unpopulär. Nach acht Kriegsjahren mit fragwürdiger Bilanz meint die Hälfte der Nation, Afghanistan sei die Opfer nicht wert. In seiner Partei trifft der Präsident auf Widerstand. Die Verstärkung wird pro Soldat eine Million Dollar im Jahr kosten, in der Summe 30 Milliarden. Das könne man sich nicht leisten, warnen Demokraten mit Blick auf die Staatsverschuldung. Im Kongress wird sich Obama verstärkt auf Republikaner stützen müssen. Die sagen, er hätte den Militärs die gewünschten Truppen längst geben sollen.

Und die Verbündeten? Die wollen allenfalls etwas mehr Entwicklungshilfe oder wenige hundert Soldaten schicken. Also haben sie wenig Mitsprache. Die USA werden 2010 drei Viertel der Truppen stellen. Wer zahlt, schafft an. Alle Nato-Staaten sind afghanistanmüde, alle wünschen eine Abzugsperspektive. Die Definition des „Erfolges“, der das rechtfertigt, wird immer weiter heruntergeschraubt. Von westlicher Demokratie, Rechtsstaat oder dem Ziel, allen Mädchen die Schule zu ermöglichen, spricht kaum noch einer. Ziel ist nur noch ein Afghanistan, in dem keine Terroranschläge mehr geplant werden – nach all den Opfern.

(Erschienen im gedruckten Tagesspiegel vom 26.11.2009)

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