Thanksgiving Ingratitude

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Undank zum Thanksgiving-Fest

Von Christoph Prantner

26. November 2009, 18:28

Washington/Wien – Zuletzt war es John Kerry, der glücklose demokratische Senator, der 2004 die Präsidentenwahl gegen George W. Bush verlor, dem der wenig schmeichelhafte Beinamen “Flip-Flopper” umgehängt wurde. Jetzt kommt Barack Obama in den Genuss, als wankelmütiger Charakter angesehen zu werden, weil der Präsident zuletzt nun doch für die US-Armee überlegte, auf den Gebrauch von Landminen zu verzichten. Und das, obwohl seine Leute tags zuvor das Gegenteil behauptet hatten.

Die von Menschenrechtlern und liberalen Demokraten erzwungene, eigentlich positive Revision der Position zu Landminen, zeigt neben einem mitunter recht schnell vor sich gehenden Sinneswandel in der US-Administration auch, dass es Barack Obama momentan niemandem recht machen kann.

Noch im Wahlkampf hatte er in beinahe jedem Themenbereich ein goldenes Händchen bewiesen. Was immer er anfasste, er bekam Applaus dafür. Seine chancenlosen Gegner spotteten bald bitter, dass es nur noch eine Frage der Zeit sei, bis der Politmessias auch über das Wasser gehen könne. Jetzt ist genau das Gegenteil der Fall: Was Obama auch tut, es hagelt harsche Kritik. Noch nicht einmal seine erste der traditionellen Begnadigungen eines Truthahns (diesmal war es ein Vogel aus North Carolina namens Courage), blieb unumstritten. Einige Gazetten warfen ihm vor, eine uninspirierte Rede dabei gehalten zu haben, die “zu kurz und zu einfach” gewesen sei.

Politologen nennen diesen Effekt, der sich nach einem Jahr unweigerlich in jeder Präsidentschaft einstellt, eine “Reverse J-Curve” . Die Zustimmungswerte für die Amtsträger fallen ab wie ein um gekehrtes Jott. “Das ist ganz normal, das lässt sich seit es Meinungsumfragen gibt bei allen Präsidenten nachweisen” , erklärt Marvin King von der University of Mississippi. Bei Obama sei diese J-Curve sogar weniger steil abfallend als bei anderen, er sei bei knapp 70 Prozent Zustimmung gestartet und halte nun bei knapp unter 50 Prozent. Und das sei immer noch erstaunlich gut.

Außenpolitische Themen wie die Kehrtwende im Umgang mit der israelischen Siedlungspolitik oder der langwierige Entscheidungsprozess in der AfghanistanFrage spielen für King in der inneramerikanischen Stimmungslage allerdings eine eher untergeordnete Rolle. Das alles überstrahlende Thema sei die Gesundheitsreform, die ab kommenden Montag im Senat debattiert wird. Bringe der Präsident dieses Reformpaket tatsächlich durch den Kongress, dann wandle sich sein Image in der Bevölkerung schnell wieder vom abwägenden Zauderer zum entschlossenen Macher. King: “Dann wird man ihn vermutlich wieder heiligsprechen wollen.”

Bis es allerdings soweit ist, muss Obama zunächst einmal ein eher unbedanktes Thanksgiving-Fest feiern. Selbst die ihm sonst freundlich gesinnte Washington Post fordert mehr Kämpfergeist vom Präsidenten ein.

Mit der für kommende Woche anberaumten Entscheidung, ob die Truppen in Afghanistan aufgestockt werden sollen oder nicht, könnte diese Forderung eher bald erfüllt werden. Aus dem Pentagon ist zu vernehmen, dass Obama die US-Truppe dort um 30.000 Mann aufstocken und den Krieg eskalieren will. Das klingt weniger nach einem “Flip-Flopper” als nach einem hartem Hund, der ironischerweise wenige Tage später den Friedensnobelpreis in Oslo entgegennehmen wird.

Politologe King ist überzeugt, dass im Wahljahr 2010, die Midterms für Repräsentantenhaus und Senat stehen an, die Zustimmungskurven für den Präsidenten wieder steigen werden. Auch deswegen, weil Obamas Wahlstrategen sich dann wieder vermehrt die Republikaner vorknöpfen werden. Als Wahlkampfthema scheint schon jetzt Immigration festzustehen. In dieser Frage sind die Republikaner – zwischen immigrationsfreundlichen Fiskalkonservativen und dem Rest der Partei – so gespalten wie sonst nirgends.

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