Die unbeholfenen Deutschen
Thomas König
30.11.2009
Die USA wollen mehr deutsche Soldaten in Afghanistan. Doch dafür muss die Bundesregierung erst einmal ihre Ziele in diesem Konflikt klarstellen.
Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik trat ein Minister wegen der Folgen eines Auslandseinsatzes der Bundeswehr zurück. Lange Zeit konnte sich die deutsche Außenpolitik mit Verweis auf die deutsche Geschichte und den Zweiten Weltkrieg von kriegerischen Konflikten und Interventionen fernhalten und durch friedenspolitische Auftritte an Reputation in den Medien und der Öffentlichkeit gewinnen.
Seit der Wiedervereinigung fehlt jedoch die deutsche Legitimation, sich der Interventionspolitik der internationalen Staatengemeinschaft grundsätzlich zu verweigern. Auch wenn einige Oppositionsromantiker den Wählern glaubhaft machen wollen, dass man die deutsche Außenpolitik zurück in die Vorvereinigungszeit versetzen könne, unterstützte bislang eine große Bundestagsmehrheit den Einsatz in Afghanistan. Deutschland wird – das steht bei allen Parteien außer der Linken außer Frage – seinen Umgang mit den weltpolitischen Problemen revidieren müssen. Die Frage ist jedoch, wie diese schwierige Aufgabe von der Regierung und ihren teilweise überforderten Vertretern bewältigt werden soll. Die Antwort ist nicht nur dem parteipolitischen Wettbewerb, sondern auch den Soldaten geschuldet, die vom Bundestag mit großer Mehrheit nach Afghanistan geschickt wurden.
Deutschland ist erstmals in eine undurchsichtige Gemengenlage von internationaler, transnationaler und nationaler Politik involviert, die durch den Drogenhandel und die Korruptionsvorwürfe gegenüber der afghanischen Regierung nicht einfacher wird. Das alles lässt einen die unbeholfenen Aktionen und Reaktionen der Verantwortlichen fast schon verständlich erscheinen. Selbst in der ausländischen Presse wie der New York Times ist bereits Mitleid mit der deutschen Außenpolitik formuliert worden.
Aber abgesehen von einem allgemeinen Bekenntnis zum Afghanistaneinsatz, tun sich die deutschen Verantwortlichen sehr schwer, auf konkrete Fragen eine Antwort zu geben, wie beispielsweise, ob es sich um einen Krieg handelt und deutsche Soldaten, die in Afghanistan gestorben sind, als Gefallene zu bezeichnen sind. Auch fällt es ihnen schwer, den Spagat verständlich zu machen, der in der Wahrung demokratischer Freiheitsrechte einerseits und dem Schutz vor Terror andererseits besteht.
Dieses Dilemma und damit auch das notwendige Ausmaß an demokratischer Informationspflicht dürfte zum Sturz von Ex-Verteidigungsminister Jung beigetragen haben. Anstatt sofort die zivilen Opfer zu benennen und sich zu entschuldigen, wurde versucht, die Geschehnisse zu vertuschen in der Hoffnung, dass sich nach einigen Wochen niemand mehr für die Berichte aus Kundus interessieren würde.
Dabei sind die Antworten auf die Afghanistanfrage sicherlich nicht einfach, erst recht nicht für die Menschen in Afghanistan. Wie viel Wert haben ein Brunnen oder eine Schule, die westliche Standards und die Aussicht auf Wohlstand schaffen, deren Bau jedoch die Terrorgefahr erhöht und deshalb die Frage nach eigenem Leib und Leben aufwerfen?
Vielleicht sollte man einfach überlegen, wie man sich hierzulande angesichts solcher Gefahren verhalten würde, die im Laufe der letzten Monate in Afghanistan zugenommen haben. Würden wir unsere Kinder in diese Schule oder auf die Straße schicken, um aus diesen von westlichen Helfern gebohrten Brunnen Wasser zu holen? Und würden wir nicht auch Zweifel bekommen haben, ob die westliche Welt zum Bau dieser Brunnen und Schulen mittelfristig steht, wenn nicht für ihren Schutz durch Soldaten gesorgt wird? Aus afghanischer Sicht besteht also weiterhin eine Nachfrage nach Unterstützung, und der Westen kann die Bevölkerung nur im Kampf gegen Taliban und al-Qaida gewinnen, wenn er glaubwürdig bleibt. Dafür müsste aber – so, wie vom amerikanischen Präsidenten – über eine massive Truppenaufstockung Deutschlands nachgedacht werden.
Kann man dies in Deutschland heutzutage noch vermitteln? Ein erster Weg könnte darin bestehen, über die Konsequenzen verschiedener Szenarien nachzudenken und Zielsetzungen zu formulieren, die von der deutschen Bevölkerung verstanden werden. Angesichts der schwierigen und komplizierten Lage in Afghanistan können diese Szenarien nicht für jede denkbare Situation zutreffen. Aber eine Truppenaufstockung mit einem zeitlichen Ziel, das sich an einer Legislaturperiode orientiert, würde sicher die Transparenz der Entscheidung und die Zurechenbarkeit der Verantwortung erhöhen, die dann bei der Wahl zur Abstimmung stünde.
Weiterhin müssten endlich inhaltliche Ziele gesetzt werden, die eine nachvollziehbare Verbesserung der Lage in dem Land belegen können, beispielsweise über den Besuch von Schulen, den Bau von Brunnen oder Verbesserung der Sicherheitslage.
Diese Vorgehensweise hätte auch den Vorteil, dass man die afghanische Regierung mit Zielen zur Korruptionsbekämpfung und zum Drogenhandel konfrontieren kann. Denn es ist weder der afghanischen noch der deutschen Bevölkerung zu vermitteln, warum Soldaten und andere Helfer für eine Regierung ihr Leben aufs Spiel setzen sollen, deren Mitglieder sich persönlich bereichern.
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