Ramping Up for Withdrawal

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Antreten zum Rückzug

Von Dietmar Ostermann

Es wäre interessant zu erfahren, wie hoch Barack Obama selbst die Erfolgschancen seiner neuen Strategie für Afghanistan einschätzt. Fifty-fifty? Weniger? Mehr? An den unbedingten Erfolg glaubt er nicht. Man weiß das, weil der US-Präsident mit dem Marschbefehl für 30 000 Soldaten schon den Beginn des Rückzugs benannt hat: Im Juli 2011 sollen die ersten GI´s heimkehren. Gewiss, Obama hat das von der dann aktuellen Lage am Hindukusch abhängig gemacht, er hat sich Hintertüren offen gelassen. Und er hat nur vom Beginn eines Abzugs gesprochen, Ende offen.

Aber der Termin ist in der Welt. Er ist so absurd präzise, auf den Monat genau – nach acht Jahren Krieg, in denen noch jeder Schlachtplan schnell Makulatur war – dass es sich nur um ein politisches Datum handeln kann. Ein Blick auf Amerikas Wahlkalender lässt ahnen, warum der Rückzug im Sommer 2011 beginnen muss. Dann nämlich nimmt Obama Anlauf für eine zweite Amtszeit und der nächste Präsidentschaftswahlkampf beginnt. Bis dahin braucht er die Wende in Afghanistan. Denn dieser Krieg ist spätestens jetzt seiner.

Man darf Obama glauben, dass er sich die Entscheidung, die Truppen am Hindukusch noch einmal aufzustocken, nicht leicht gemacht hat. Anders als bei George W. Bush sprechen alle Instinkte bei diesem Präsidenten gegen militärische Abenteuer. Auf ein solches aber hat sich Obama nun eingelassen. Im Grunde geht er eine doppelte Wette ein. Der Präsident muss hoffen, dass 30 000 US-Soldaten und jenes kleine Häuflein, das Washington den Nato-Partnern abringen mag, in Afghanistan tatsächlich das Kriegsglück wenden. Es gibt viele gute Gründe, daran zu zweifeln.

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Dafür spricht eigentlich nur, dass Anfang 2007 die Chancen für die damals von George W. Bush befohlene “Surge” (Druckwelle) im Irak kaum besser standen. Dort brachte eine Truppenverstärkung in vergleichbarer Größenordnung, bei scheinbar ähnlich auswegloser Lage, zumindest einen relativen Erfolg. Die Lage im Irak jedenfalls hat sich so weit stabilisiert, dass Obama jetzt die US-Besatzung abwickelt. Bis nächsten Sommer zieht der Großteil der US-Truppen aus dem Irak ab, Ende 2011 der letzte Soldat. Es ist nicht lange her, da hatten viele auch diesen Krieg verloren gegeben.

Das Prinzip Hoffnung freilich macht noch keine Strategie. Was in Afghanistan anders werden soll, außer, dass Amerika mehr Soldaten in die Schlacht wirft, hat Obama nicht erklärt. Mehr zivile Hilfen? Klügerer Wiederaufbau? Angebote an die Zehn-Dollar-Taliban, ihre Waffen zu strecken, weil sie bei der CIA mehr verdienen können? Eine politische Strategie, die der afghanischen Stammesgesellschaft besser entspricht als der aufgestülpte Zentralismus eines Frühstückspräsidenten Hamid Karsai? Regionale Diplomatie gar, die Afghanistans Nachbarn einbindet? Ein Plan für Pakistan, der die labile Atommacht stabilisiert und den Taliban ihre Rückzugsgebiete nimmt? Bislang Fehlanzeige. Obama hat all das in seiner Rede kaum gestreift.

So drängt sich der Eindruck auf, dass es ihm im Grunde um etwas anderes geht: Darum, die Lage militärisch so lange zu beruhigen, bis Afghanistans in Turbokursen gedrillte Sicherheitskräfte selbst in die Schlacht gegen die Taliban ziehen können. Schickt Obama also nur heute mehr Soldaten, damit er seine Truppen morgen heimholen kann? Freund und Feind werden es so empfinden: Amerikas Kriegsziel, reduziert auf den geordneten Rückzug.

Das wiederum hat auch etwas mit Obamas zweiter Wette zu tun. Der Präsident setzt darauf, dass ihm seine kriegsmüden Demokraten das militärische Abenteuer am Hindukusch verzeihen werden, wenn er ihnen zumindest vage ein Kriegsende in Aussicht stellt. Denn mit der Entsendung frischer Truppen hat Obama zum ersten Mal in einer zentralen Frage die große Mehrheit der eigenen Partei verärgert, die keinen Sinn mehr sieht im teuren Dauerkrieg am Hindukusch. Der Präsident also riskiert Rückhalt und Geschlossenheit im eigenen Lager. Beides braucht er für die heimische Reformagenda. Im Kongress kommt es auf jede Stimme an, nicht nur bei der Gesundheitsreform.

Doch Obamas Afghanistan-Pläne stellen in den USA niemanden zufrieden: Amerikas Linke ist gegen die Ausweitung des Kriegs, die Republikaner legen Obama den Rückzugstermin als Schwäche aus, das Volk hat in der Krise andere Sorgen.

Fifty-fifty reicht da nicht. Obama muss beide Wetten gewinnen.

Erscheinungsdatum 02.12.2009

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