A History of Failure

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Geschichte des Versagens

Von Christoph von Marschall

2.1.2010

Barack Obama entdeckt neue Gemeinsamkeiten mit George W. Bush. Er ist noch kein volles Jahr im Amt, da wird die Bedrohung durch Terroranschläge zum beherrschenden Thema und lenkt von den Projekten ab, mit denen er seine Präsidentschaft prägen wollte. Erschreckende Sicherheitslücken tun sich auf. Die Strukturen hat er vom Vorgänger geerbt. Doch die Bürger machen den amtierenden Präsidenten verantwortlich, wenn etwas schiefläuft. Auch die Propagandisten der Opposition tun alles, um ihm die Schuld zuzuweisen und von Fehlern des Vorgängers aus der eigenen Partei abzulenken. So ging es Bush nach 9/11, obwohl die Versäumnisse, die es Al Qaida ermöglichten, New York mit gekaperten Flugzeugen anzugreifen, in Bill Clintons Amtszeit zu suchen waren. So geht es nun Obama.

Auch diesmal weisen die Hauptfaktoren, die einen Nigerianer mit Sprengstoff in ein Flugzeug gelangen ließen, in die Zeit des Vorgängers zurück. Wie 2001 hatten US-Stellen ausreichende Warnungen vor einem bevorstehenden Anschlag und Hinweise zur Identität der Attentäter. Doch die Informationen lagen unterschiedlichen Behörden und Geheimdiensten vor und wurden nicht rechtzeitig zusammengeführt. Der 9/11-Untersuchungsbericht forderte einen besseren Informationsaustausch. Bush und sein Vize Dick Cheney schufen ein Mammutministerium für Heimatschutz; es ist vermutlich schon wegen seiner Größe mit 200 000 Angestellten unkontrollierbar. Sie strukturierten Aufsicht und Kooperation der 16 US-Geheimdienste neu. Dennoch wiederholten sich nun die Fehler. Cheney schiebt die Schuld Obama zu. Der habe eine Atmosphäre übertriebener Versöhnlichkeit mit Muslimen und Nachsicht mit Terroristen geschaffen – bis hin zum Plan, Guantanamo zu schließen. Folglich lasse die Wachsamkeit nach.

Auch Bush wollte das Lager schließen. Davon möchten die Republikaner nichts mehr wissen. Sie wollen auch nicht hören, dass ihre Regierung zwei saudische Insassen 2007 als unbedenklich einstufte und nach Saudi-Arabien zurückschickte. Die beiden flohen in den Jemen, schlossen sich Al Qaida an und planten das Flugzeugattentat. Wer meint, es fehle an Ganzkörperscannern, die Plastiksprengstoff unter der Kleidung aufspüren, stößt ebenfalls auf Bush/Cheney. Damals wurden die Mittel dafür abgelehnt.

Ja, es gab wohl eine neue Nachlässigkeit. Wenn es stimmt, dass der Attentäter ein One-Way-Ticket hatte, es bar bezahlte und bei seinem Kontinentalflug von Afrika über Europa in die USA kein Gepäck aufgab, hätte allein das eine Sonderkontrolle gerechtfertigt – beim Abflug in Nigeria und beim Umsteigen in Amsterdam. Es liegt wohl in der menschlichen Natur, dass die Wachsamkeit nachlässt, wenn lange nichts passiert ist.

Beschweren darf sich Obama freilich nicht. Er wusste, dass die Republikaner auf eine Gelegenheit warten, um das Klischee zu bestätigen: Demokraten sind weich in Sicherheitsfragen. War es da klug, die ersten drei Tage nach dem Anschlag zu schweigen, im Urlaub in Hawaii? Und dann Konsequenzen für Silvester anzukündigen, sie nun aber zu verschieben bis nach dem Krisengipfel mit den Geheimdiensten? Er hat doppeltes Glück gehabt. Es gab keine Opfer, aber alle sind wachgerüttelt. Nun sollten jedoch auch die Strukturen der Terrorabwehr noch einmal überprüft werden, um solche Pannen auszuschließen, in Amerika und Europa. Die Grundlagen für die Sicherheit oder Unsicherheit unter der nächsten Regierung werden jetzt gelegt.

(Erschienen im gedruckten Tagesspiegel vom 02.01.2010)

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