Illusionslos gegen El Kaida
Von Herfried Münkler
Es ist die Nichtterritorialität, die Netzwerksorganisationen wie El Kaida ihre Aktions- und Durchhaltefähigkeit verleiht. Würde es sich um Staaten im klassischen Sinn handeln, so hätten sie ein Territorium mitsamt einer Bevölkerung, und dementsprechend könnte man sie mit einer Palette von Maßnahmen, von Wirtschaftssanktionen bis zur militärischen Intervention, unter Druck setzen.
Durch ihre Nichtterritorialität haben sie sich jedoch dem Zugriff der Staatengemeinschaft entzogen. Netzwerkorganisationen sind eben kaum zu fassen, und je größer die Hände sind, die nach ihnen greifen, desto weniger greifbar sind sie.
Aber auch nichtterritoriale Akteure kommen nicht ohne Orte und Regionen aus, in denen sie ihr Personal ausbilden können. Hier haben sie ihre Basislager und Ausbildungscamps. Vor 2001 war dies der Osten Afghanistans, nunmehr scheinen sie sich im nördlichen Jemen eingenistet zu haben.
Schon vor dem fehlgeschlagenen Angriff auf eine amerikanische Passagiermaschine nahe Detroit gab es Hinweise auf eine Verlagerung von El-Kaida-Tätigkeiten in den Jemen. Die Nähe zu Saudi-Arabien, aber auch zu dem auf der gegenüberliegenden Seite des Golfs von Aden gelegenen Somalia weisen dem Jemen eine geostrategisch interessante Lage für den Kampf gegen die USA und ihre westlichen Verbündeten zu.
Der seit Jahren zu beobachtende Zerfall des jemenitischen Staats hat das begünstigt. Es spricht alles dafür, dass die Südecke der Arabischen Halbinsel uns in den nächsten Jahren intensiv beschäftigen wird.
Haben wir aus dem wenig erfolgreichen Projekt der Stabilisierung Afghanistans so viel gelernt, dass im Jemen erfolgreicher agiert werden kann? Ein Unterschied in den Ausgangsvoraussetzungen ist wichtig: Während die Talibanregierung in Kabul im Herbst 2001 nicht kooperationswillig war und die Auslieferung Osama bin Ladens verweigerte, hat die Regierung des Jemen zu erkennen gegeben, dass sie bei der Terrorismusbekämpfung mit dem Westen zusammenarbeiten möchte.
Aber sie will keine fremden Truppen ins Land holen, sondern den Kampf mit eigenen Kräften führen. Dafür möchte sie mit Geld und Waffen unterstützt werden. Vermutlich wird sie beides nicht bloß zum Kampf gegen El Kaida nutzen wollen.
Der Westen befindet sich in einem Dilemma. In Afghanistan hat er sich hehre Ziele gesteckt, zu denen ein demokratisches Afghanistan sowie gleiche Bildungschancen für Frauen und Mädchen gehörten. Aber damit hat er sich überfordert; die inzwischen propagierte Wende zu einer “Afghanisierung” von Sicherheit und Wiederaufbau ist auch ein klammheimlicher Rückzug von diesen Forderungen. Man sollte auf derlei im Jemen verzichten und sich mit der Terroristenbekämpfung und der Aufrechterhaltung eines gewissen Maßes an Staatlichkeit im Lande begnügen.
Nach einer Dekade hochgesteckter Ziele bei der Herstellung einer neuen Weltordnung ist der Westen desillusioniert. Man hat über die Möglichkeiten hinaus geplant. Schrittweise kehrt man jetzt zu der Unterstützungspolitik zurück, wie man sie in der Zeit des Ost-West-Konflikts betrieben hat. Man unterstützt ein Regime, weil es denselben Feind, nicht weil es dieselben Normen und Werte hat. Das dürfte die erste Konsequenz aus der bitteren Afghanistanlektion sein.
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