All Quiet on the Western Front

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Im Westen nichts Neues

VON JOACHIM LOTTMANN

11.01.2010

Die westliche Kultur – der American way of life – dominiert den Globus heute weniger, als man denken möchte. Täuschen wir uns nicht: Dass es noch immer Milliarden Menschen in Schwellenländern gibt, die gerade den Schriftzug von Coca-Cola entdecken oder sich ihr erstes Mickey-Mouse-T-Shirt kaufen, bedeutet nichts. Jedenfalls nicht mehr. Das sind Nachhut-Gefechte, letzte Zuckungen jener Kultur, die ein halbes Jahrhundert lang den Westen wie selbstverständlich zum Maß aller Dinge gemacht hat: der Popkultur. Und die westliche Kultur war mit der Popkultur identisch in dieser Zeit, denn alles andere – Oper, Theater, Literatur, Ballett – war doch nur zum Schein noch auf dem Programm.

Nun, dieser Schein ist geblieben, die Popkultur aber gegangen. Das hat Folgen. Die tote Kultur von Schwanensee bis Wilhelm Tell wird auch in hundert Jahren noch von Goethe-Instituten in aller Welt vertreten werden, ohne die geringste Wirkung. Aber die oberen Schichten der nichtwestlichen Länder orientieren sich nicht länger an US-amerikanischen TV-Serien, britischen Bands und deutschen wilden Malern. Das gibt es nämlich alles nicht mehr oder bald nicht mehr.

Schon vor fünf bis zehn Jahren erwischte es bekanntermaßen die Popmusik. Die Industrie brach zusammen, da man für Musik nicht mehr bezahlen musste. Popmusik ist aber immer Chartmusik, also der musikalische Ausdruck von Millionen Menschen für eine Woche, sozusagen die Bild-Zeitung in Tönen. Ich selbst habe mich nie für andere Musik interessiert als die aktuellen Top Ten. Doch nach dem Ende der Chart- und Musikindustrie gibt es nur noch alte Musik, oder wie die Radiostationen plärren: “Kiss FM, die größten Hits der 70er, 80er, 90er Jahre – und das Beste von heute!!” Das heute wird dann immer unterschlagen und nicht eingelöst, denn Hits von heute gibt es nicht.

Es gibt keinen musikalischen Ausdruck für die jeweilige Gegenwart mehr, stattdessen Konserven von früher. Kein Käufer, kein Markt entscheidet mehr über Gut und Schlecht. Es ist wie unsere übrige, alte, tote Kultur: Staatliche Stellen subventionieren Leute, die geschickt darin sind, mit Funktionären zu kommunizieren. Jeder, der handwerklich etwas kann, darf sich als Künstler fühlen, auch ohne den allergeringsten kreativen Beitrag. Am schlimmsten, weil ahnungslosesten, ist da die Jazz-Szene: Diese Leute wissen schlicht nicht, dass bloßes Nachspielen alter Sounds keine Kunst ist. Aber auch die Blues-, Soul- und sonstigen verkappten Retro-Bewegungen machen denselben Fehler. Deswegen hört man in Djarkarta, Sydney und São Paulo keine westliche Musik mehr. Dass in den miesesten Schuppen noch immer verbrauchte Jackson- und Madonna-Hits laufen, wirkt da nur kontraproduktiv.

Als Nächstes folgte die TV-Industrie, ebenfalls gekillt vom Internet. Inzwischen laufen überall lokale Billig-Soaps. Unsere Lebensweise wird nicht mehr verbreitet. In Indien gibt es nun 30 religiöse Kanäle stattdessen. Göttin Lakschi und ihre 76 Wunder ersetzen den letzten One-Night-Stand von Eva Longoria. Na prima. Demnächst ist die Buchindustrie dran. Fast alle Titel sind schon gescannt, bald fließt kein Cent mehr in diesen Bereich. Millionen Schriftsteller werden dann vom Staat gefördert. Mit dem westlichen Lebensstil ist es dann nicht nur global vorbei, sondern auch bei uns selbst. Wie das aussieht, lässt sich an unseren Mitbürgern unter 20, ja unter 25 gut beobachten. Die sind jetzt schon so.

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