Losing the Home Game

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Symbolische Niederlage im Stammland

Von Martin Klingst

20.1.2010

Weder eine normale Wahl noch eine normale Niederlage der Demokraten: Die symbolische Bedeutung dieses Fiaskos könnte nicht größer sein. Von Martin Klingst, Washington

Für Amerikas Demokraten ist der Ostküstenstaat das, was für deutsche Sozialdemokraten einst die Hansestadt Hamburg war. Zudem: Sie verloren ausgerechnet jenen Senatorensitz, den der im vergangenen August verstorbene Ted Kennedy innehatte.

Noch im Präsidentschaftswahlkampf 2008 hatte Obama Massachusetts mit 26 Prozent Vorsprung vor seinem republikanischen Konkurrenten gewonnen. Es war ein Spaziergang. 46 Jahre lang hatte Kennedy seinen Senatorensitz verteidigt, die meisten Wahlen waren für ihn ebenso leicht zu gewinnen.

Kennedy, der Löwe des Senats, wird sich im Grabe umdrehen: Diese Schlappe verändert die Mehrheitsverhältnisse, ab sofort verfügen die Demokraten im Senat nur noch über 59 Sitze. Das ist eine Stimme zu wenig, um die Blockaden der republikanischen Opposition zu überwinden und Gesetze zügig voranzubringen. Ironie des Schicksals: Die geplante Gesundheitsreform, die gerade Ted Kennedy so sehr am Herzen lag, für die er jahrzehntelang eisern gekämpft hatte und deren Erfolg er sich vor seinem Tod so sehnlich wünschte – für diese Gesundheitsreform wird es nun im parlamentarischen Prozess verdammt schwer werden.

30 Jahre lang hat Massachusetts keinen Republikaner mehr in den Senat nach Washington entsandt. Was ist geschehen, ausgerechnet zum ersten Jahrestag der Obama-Präsidentschaft?

Eine alte Weisheit besagt, “all politics is local”, alle Politik ist lokal. Das ist sicherlich richtig. Die demokratische Kandidatin Martha Coakley war schwach, nahm ihren Sieg für garantiert und kapierte erst spät, dass sie zurückfiel. Ihr republikanischer Konkurrent Scott Brown ist volksnah und führte einen furiosen Wahlkampf. Es ist schon erstaunlich, wie die Demokraten in den vergangenen Monaten ihre Chancen mit blassen und schlecht organisierten Kandidaten verspielt haben.

Viele Wähler haben zudem die Nase gestrichen voll von der Demokratischen Partei in Massachusetts, die seit Jahren alle öffentlichen Posten besetzt und sich oft so aufführt, als gehöre der Staat ihr und sei Opposition eine Majestätsbeleidigung. Ted Kennedy hin und her – der Senatssitz gehört nicht einer Familie, nicht einer Partei, sondern immer noch dem Volk. Die Wähler haben urdemokratisch votiert. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Die Ohrfeige für die Demokraten sollte auch den Kongress in Washington treffen – und ebenso den neuen Herrn im Weißen Haus. Persönlich ist Barack Obama nach wie vor beliebt, doch seine Politik und deren Richtung werden immer stärker infrage gestellt.

Die Amerikaner fürchten, dass sich Obama mit seinen Reformen übernimmt und dafür zuviel Geld in die Hand nimmt, dass er einen riesigen Schuldenberg anhäuft und den Staat aufbläht. Bei aller Begeisterung für den schwarzen Kandidaten im November 2008: Die Mehrheit Amerikas, vor allem des weißen Amerikas, das nach wie vor weit geschlossener zur Wahl geht als die vielen Minderheiten, diese Mehrheit will einen schlanken Staat, der sich zurückhält und den Bürger so weit wie möglich in Ruhe lässt.

Wie kann es weitergehen? Es wäre ein Fehler, die Gesundheitsreform in die Schublade zu stecken. Die Erkenntnis, dass sie nicht nur aus moralischen, sondern auch aus ökonomischen Gründen wichtig ist, hat sich nicht verändert. Ebensowenig sollte Obama seine anderen Vorhaben wie das Klimaschutzgesetz an den Nagel hängen. Amerika braucht die Erneuerung, und Obama braucht endlich einen vorzeigbaren Erfolg.

Aber zunächst wollen die Wähler erleben, dass es ihnen wirtschaftlich wieder besser geht, dass sich ihr Präsident der vielen Arbeitslosen annimmt, dass er ruchlosen Finanzhaien auf der Wall Street Einhalt gebietet und die Schuldenlawine aufhält.

Barack Obama, dieser grandiose Redner, muss höllisch aufpassen, dass ihm die Republikaner nicht seine Botschaft des Wandels und der Erneuerung zerstören. Ihr populistischer Antikurs gegen alles, was das Weiße Haus und die Demokraten derzeit ankurbeln, findet im Augenblick größeres Gehör. Obama muss seine Botschaft ein wenig schleifen und mit neuem Elan unters Volk bringen. Die gute Nachricht inmitten der vielen schlechten lautet nämlich: Eine Mehrheit der Amerikaner findet, dass Obama auf lange Sicht den richtigen Kurs steuert.

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