Plenty of Fat and Fried Potatoes: The American Breakfast

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Viel Fett und Eiweiß – Frühstück auf Amerikanisch

Von Nora Sobich

24.1.2010

Schinkenspeck und Bratkartoffeln, Eier, Pancakes und French Toast – das amerikanische Frühstück ist eine nationale Institution. Eine Liebeserklärung.

Am Wochenende wird angestanden. Egal, ob es regnet oder schneit – ab acht Uhr in der Früh reicht die Schlange vor dem Bostoner „Paramount“ bis weit auf die Straße hinaus, wo der knusprig gebratene Schinkenspeck, die frischen Omeletts und süßen Kuchen nur zu ahnen, aber noch nicht zu riechen sind. Die Szene wiederholt sich jedes Wochenende, überall in Amerika, nicht nur vor urbanen Brunch-Diners wie dem „Paramount“, auch vor obskuren Lokalitäten im Niemandsland der US-Provinz wie „Rosie’s Diner“ zu Füßen der White Mountains in New Hamsphire, wo die Gäste mit Gesichtern so verschlossen wie die Landschaft um sie herum vor ihren handfesten Frühstücksplatten sitzen, während Rosie persönlich mit ihren streng zum Zopf gebundenen Haaren zwischen den Tischen hin- und herhetzt. Sich für sein warmes Frühstück die Beine in den Bauch zu stehen, ist ein amerikanisches Ritual.

Das All-American Breakfast, wie das deftige Frühstück mit Eiern, Schinkenspeck und Bratkartoffeln genannt wird, ist elementarer Bestandteil des nationalen Wohlbefindens. Als die Harvard University nach dem Finanzcrash verkündete, in Zukunft am warmen Frühstück in den Studentenwohnheimen sparen zu wollen, war das ein Skandal, ein neues Armutszeugnis der alterwürdigen Bildungsinstitution. Wie kann eine Traditionsstätte wie Harvard einen Teil der nationalen Identität abschaffen?!

In seiner Zeit als Professor an der University of Chicago ging Barack Obama, wie es heißt, morgens am liebsten ins legendäre „Valois“. In einer volksküchenartigen Halle sitzen dort Studenten und in Tweed gekleidete Professoren neben uniformierten Cops, Bauarbeitern und Rentnern. Geöffnet wird morgens um halb sechs. Gekocht wird auf einem so genannten Griddle, der offenen, für US-Schnellrestaurants charakteristischen Grillplatte. Dort brutzeln friedlich nebeneinander Eier, Schinkenspeck, Bratkartoffeln, in Ei getauchte süße „French Toasts“ und die dicken Pancakes. Im Vorbeigehen ruft man seine Bestellung dem Griddle-Chef zu, dessen Mannschaft in Rekordtempo alle Aufträge scheinbar gleichzeitig bearbeitet. Bis der Teller fertig ist, hat man bereits Kaffee, O-Saft und Toast auf seinem Tablett und steht vor der Kassiererin.

Am besten und billigsten, so eine in Amerika hochgeschätzte Regel, wird dort gefrühstückt, wo Fernfahrer und Polizisten hingehen – oder wo eben die längste Schlange ansteht. Und meist wird die deftige Mahlzeit „all-day“, den ganzen Tag, serviert. Die Grundkonstellation aus Ei und Schinken lässt sich beliebig mit Beilagen erweitern und variieren. Allerdings sollte man über seine Wünsche schon mal gründlich nachdenken. Sobald die Bedienung, die in den Diners fast ausschließlich weiblich ist, einen mit „Honey“ begrüßt hat und lehrerstreng den Bestellblock zückt, beginnt das Ping-Pong des Frühstücksrituals.

Auf die Bestellung „Two eggs, please“, kommt revolverschnell die Folgefrage: Wie denn die Eier? Kaum hat man „over easy“ (leicht beidseitig gebraten) gesagt, geht es in die nächste Runde: Bratkartoffeln oder Kartoffelpuffer? (Home Fries oder Hash Browns?); dann die zu klärende Alternative Schinkenspeck oder Würstchen? (Bacon or Sausages?) und schließlich die Brotfrage „Weiß, Vollkorn oder Roggenbrot? Das Abfragen der Präferenzen wird mit solch Monty Python Spam Sketch-artiger Ernsthaftigkeit betrieben, dass man am Ende schon froh ist, sich nicht versprochen zu haben.

Das Durchdeklinieren unterscheidet sich auch je nach Lokal oder nach der Region. Mal werden die Kartoffeln pufferähnlich geraspelt, mal in Scheiben geschnitten oder grob gewürfelt gebraten. Im Süden tauscht man sie gleich ganz ein, gegen Grits, eine Art Maisgrütze. Die Eier gibt es in (fast) allen Varianten: „Sunny side up“, mit dem Dotter nach oben gebraten; „over easy“, kurz mit dem Dotter nach unten gebraten; „over medium“, etwas länger mit dem Dotter nach unten gebraten; pochiert; zum Rührei geschlagen oder als Omelette. Nur das gekochte Ei ist hier ein Exot.

Obwohl Amerikas Frühstück eine so hochgehängte nationale Institution ist, in Hollywood-Filmen die Kriegsheimkehrer erst mal vor einen Teller Schinken-Eier gesetzt werden, um sie so gleichsam symbolisch, als wär’s bei Muttern zu Hause, in ihrer Heimat ankommen zu lassen, ist es keine amerikanische Neuerfindung. Die Engländer brachten die Schinken-Eier-Kombi in die Neue Welt. Amerika machte dann etwas Eigenes daraus.

Das heutige Erscheinungsbild geht auf eine Marketingidee zurück, mit der das Frühstück in den 20er Jahren die Massen erreichte. Ein Produzent von Schweinebauchschinken, so die Story, hatte den einflussreichen PR-Agenten Edward Bernays engagiert, um den Absatz von Schinkenspeck anzukurbeln. Bernays, ein Neffe von Sigmund Freud und auch als Popularisierer des Zigaretterauchens unter Frauen bekannt, initiierte eine Kampagne, die das reichhaltige Frühstück mit Unterstützung bezahlter Expertenstimmen als unbedingt gesund anpries. Reduziert auf einen knappen Werbespruch, wurde so aus dem englischen „Full Breakfast“ das amerikanische Bacon and Eggs. Das schnippt sich wie ein Jazz-Rhythmus. Egal, was an Extras alles noch hinzukommt, es bleibt bei „Bacon and Eggs“. Was hast du heute gefrühstückt? „Bacon and Eggs.“

Das all-American Breakfast passte perfekt in die boomende Diner- und Fastfood-Kultur der Roaring Twenties. Unangefochtene Ikone dieser Blütezeit amerikanischer Schnellrestaurants sind die so genannten „Box-Car-Diners“, deren funktionale Fertigbauweise man den Pullman-Speisewagen abgeschaut hatte. Manche Exemplare haben die Zeit sogar überlebt. Ein aluminiumfarbenes Original aus den 40er Jahren ist „Wilson’s Diner“ in Boston, der morgens um fünf Uhr öffnet und nachmittags um drei Uhr wieder schließt. In eidotter-gelber Steckschrift steht „Good Morning“ über der offenen Grillplatte. Wie im Zug isst man an kleinen Kojen oder auf Barhockern am hellblau-weiß gekachelten Tresen, wo man dem Chef direkt dabei zuschaut, wie er den Eiern Feuer gibt und seinen Spachtel durch einen Berg Bratkartoffeln wühlt.

Auch Wolfgang Koeppen besuchte Ende der 50er Jahre so einen Frühstücks-Diner auf seiner „Amerikafahrt“. „Zu den Spiegeleiern“, meint der Schriftsteller allerdings nicht sehr begeistert, „gab es hier schon am Morgen geröstete Kartoffeln. Der Toast schmeckte pappig, er war durch zerlassene Butter gezogen und klebte an den Händen.“ Mit Haute Cuisine hat das American Breakfast in der Tat nichts zu tun. Darum geht es aber auch nicht. „We are Bacon-People“, versicherte vor einiger Zeit selbst die um den dringend erforderlichen Wandel von Amerikas Essgewohnheiten bemühte First Lady Michelle Obama dem TV-Sender ABC. Damit meinte sie nicht etwa, dass die Präsidentenfamilie Fleischfresser sei, sondern betonte ihre Loyalität gegenüber der Einfachheit der in Amerika als fundamental demokratisch aufgefassten, wenn auch nicht gerade gesunden Grill-Küche.

Vor Bacon and Eggs sind sozusagen alle gleich, so wie vor Boulette und Currywurst. Das Frühstück, das seit den 70er Jahren zunehmend auch als sterile Schlichtvariante von großen Fastfood-Ketten wie „Denny’s“ oder „International House of Pancakes“ angeboten wird, behauptet sich selbst gegen Starbucks croissant-leichte Caffe-Latte-Kultur. Wobei im Alltag die To-go-Varianten beliebter werden, wie „Egg McMuffin“ oder „Breakfast Wraps“, inzwischen auch gern als „egg white“ geordert, ohne das Cholesterin des Eigelbs. Der volle Frühstücksschmaus wird meist aber aufs Wochenende verschoben. Dann reiht man sich geduldig in der Schlange ein, wo sich Amerika am amerikanischsten

fühlt.

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