Liberation From Slavery

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Befreiung aus der Geiselhaft

von Dierk Hirschel

26.01.2010

Obamas Pläne zur Zügelung der Banken sind schlechte Nachrichten für die großen Geldinstitute. Sie sind gleichzeitig ein wichtiger Schritt zu einem gerechteren Finanzsystem, dem weitere folgen müssen.

Jetzt ist Schluss mit lustig. US-Präsident Barack Obama plant gerade die spektakulärste Geiselbefreiung der modernen Wirtschaftsgeschichte. Die Geiselhaft der US-amerikanischen Steuerzahler durch die Wall Street soll beendet werden. Schlechte Nachrichten für die Geiselnehmer: Goldman Sachs, JP Morgan Chase, der Citigroup und anderen könnte es schon bald an den Kragen gehen.

Obama will Finanzkonglomerate zerschlagen und den Einlass ins Kasino streng reglementieren. Kommt er damit durch, könnte sich Geschichte wiederholen. Obama würde in die Fußstapfen von Franklin D. Roosevelt treten. Dieser zog aus der Weltwirtschaftskrise 1929 grundlegende Lehren. Die Reformpolitik des New Deal legte die Wall Street in Ketten. Das Glass-Steagall-Gesetz, das Wertpapier- und Börsengesetz und andere schöne neue Regeln machten den Zockern das Leben zur Hölle. Die Geldhäuser mussten wieder lernen, der Realwirtschaft zu dienen.

Damals war der Aufschrei der Finanzbranche ähnlich groß wie heute. Die Börsenkurse stürzten ab. Doch davon darf sich die Politik nicht schrecken lassen. Es gibt keine Alternative. Das Kind muss mit dem Bade ausgeschüttet werden

Die Wall Street, die Londoner und die Frankfurter City haben wiederholt bewiesen, dass sie nicht lernfähig sind. Die Banken trennen sich nicht freiwillig von ihren riskanten Geschäftsmodellen. Während der staatliche Rettungseinsatz auf Hochtouren läuft, wird bereits wieder gezündelt. Dabei ist der Skandal um ausgeschüttete Rekordboni nur die populäre Spitze des Eisbergs. Die Gewinne der Großbanken sprudeln auch in der Krise. Allein die sechs größten US-Banken erzielten 2009 einen Nettogewinn von 28 Mrd. $. Die Eigenkapitalrenditen kletterten wieder auf mehr als 20 Prozent. Diese Gewinne speisen sich heute wie früher aus dem Investmentbanking. Es geht um riskante Devisen- und Zinswetten sowie um den Handel mit Anleihen. Wird auf eigene Rechnung gehandelt, dann zählt nur noch der maximale Gewinn. Liquidität gibt es im Überfluss. Die Banken können ihre Spieleinsätze mit dem billigen Geld der Notenbanken und staatlichen Kapitalspritzen finanzieren.

Haftungsprinzip außer Kraft

Das Risiko der Spekulanten ist begrenzt. Platzen die Wetten, zahlen die Steuerzahler. Damit muss Schluss sein. Geschäftsbanken dürfen nicht weiter Roulette spielen. Der Vorschlag des US-Präsidenten, den Eigenhandel der Banken einzudämmen, ist richtig. Gerade wer umfangreiches Einlagen- und Kreditgeschäft betreibt, hat auf volatilen Kapitalmärkten nichts verloren. Wenn Geschäftsbanken keinen Eigenhandel treiben und keine riskanten Investments mehr tätigen, dann sind Spareinlagen sicherer.

Damit aber nicht genug. Viele Finanzinstitute sind zu groß zum Scheitern. Ein zentrales Ordnungsprinzip der Marktwirtschaft wird damit außer Kraft gesetzt: das Prinzip der Haftung. Es gibt zwei Wege, um das Problem in den Griff zu bekommen. Entweder müssen Großbanken gesundgeschrumpft werden, oder sie gehen in öffentliches Eigentum über. Die Freunde des Wettbewerbs wollen die Finanzgiganten lieber schrumpfen. Da gibt es viel zu tun. In 19 EU-Mitgliedsländern liegt der Marktanteil der fünf größten Banken über 50 Prozent. In den USA kontrollieren die “Big Five” 43 Prozent des Markts. Wirtschaftsminister Brüderle bringt gerade ein Entflechtungsgesetz auf den Weg. Eher wird jedoch Josef Ackermann neuer Vorsitzender der Linkspartei, als dass die Jünger Ludwig Erhards die Finanzindustrie mit dem ordnungspolitischen Schwert bekämpfen.

Befreiung aus der Geiselhaft

Der schädlichen Systemrelevanz einzelner Banken kann auch mit schärferen Eigenkapitalregeln begegnet werden. Je größer die Bilanzsumme, desto mehr Eigenkapital müssten die Institute dann unterlegen. Kurzum: Mit konsequenter Ordnungspolitik ließe sich die Haftung verbessern. Schäden, die dann noch entstehen, könnte ein europäischer Rettungsfonds der Privatbanken abdecken.

Natürlich wird in einem liberalen Land das Kasino weiter offen bleiben. Nur darf nicht jeder rein, und nicht alles ist erlaubt. Und wenn die Zocker in der Themse, im Hudson oder im Main zu ertrinken drohen, dann wirft künftig kein Kassenwart mehr den Rettungsring.

Noch aber sind die Verursacher der Krise auch ihre Profiteure. Die Geldhäuser müssen endlich an den Krisenkosten beteiligt werden. Barack Obama will die 50 US-Großbanken mit einer Strafsteuer belegen: In den nächsten zehn Jahren sollen 117 Mrd. $ wieder in die Staatskassen zurückfließen. Hierzulande zahlen Finanzinstitute für staatliche Bürgschaften und Kapitalhilfen zwar saftige Zinsen und Gebühren. Der Soffin erwirtschaftete bisher einen Überschuss von rund einer halben Milliarde Euro. Doch im Vergleich zu den gigantischen Kosten des Rettungseinsatzes sind das Peanuts. Allein die Kurzarbeit kostete fast 14 Mrd. Euro. Eine Sondersteuer auf Bankenprofite ist deshalb überfällig.

Darüber hinaus brauchen wir eine europäische oder internationale Finanztransaktionssteuer. Bis eine solche Vereinbarung getroffen ist, muss eine nationale Börsenumsatzsteuer die Lücke schließen. Diese verteilungspolitischen Eingriffe behandeln die Krisenursachen. Der Zufluss in die Spekulation stammt aus der steigenden Einkommens- und Vermögenskonzentration. Solange die ökonomische Ungleichheit wächst, nimmt die Nachfrage nach Spielgeld zu.

Nach dem Kollaps der Finanzmärkte haben die Geldhäuser den Staat in Geiselhaft genommen. Die Steuerzahler mussten die brennenden Glaspaläste retten. Jetzt bekommen sie die Rechnung präsentiert. Kein Wunder, dass Arbeitnehmer, Rentner und Arbeitslose vor Wut kochen. Die Politik gerät unter Druck. So gibt es doch noch eine Chance, wirkliche Lehren aus der Krise zu ziehen.

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