Medics in the Caribbean

Edited by Joanne Hanrahan

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Sanitäter der Karibik

Von Herfried Münkler

27.01.2010

Im späten 19. Jahrhundert, als die Reste des spanischen Kolonialreichs in der Neuen Welt zerfielen, wurde die Karibik zum “Hinterhof” der USA, und das ist sie bis heute geblieben. Hier schalten und walten die US-Amerikaner nach Belieben und halten sich nur selten an die Regeln, die sonst im Umgang mit souveränen Staaten gelten.

Dass die USA in der Karibik besonders auf die Einhaltung der Menschenrechte geachtet hätten, wird man nicht sagen können. Von der Unterstützung diktatorischer Regime bis zu ungebetenen Militärinterventionen haben sie sich hier alles herausgenommen, was sie sonst anderen ankreiden. Nachhaltige Hilfe haben sie jedoch nur selten geleistet. Die Staaten der Karibik sind die Armenhäuser der westlichen Welt.

Das soll sich jetzt bei dem vom Erdbeben verwüsteten Haiti ändern. US-Präsident Obama und Außenministerin Clinton haben angekündigt, dass die USA nicht nur das unmittelbare Leid lindern, sondern langfristig beim Aufbau einer robusten Staatlichkeit helfen wollen. Wenn sie das tatsächlich tun, dann nicht bloß aus Hilfsbereitschaft und Menschenliebe, sondern zunächst aus wohlverstandenem Eigeninteresse.

Weder können sie ein Interesse daran haben, dass die Haitianer zu Zigtausenden nach Florida flüchten und dort Diasporagemeinden errichten, noch können sie riskieren, dass sich auf Haiti ein Regime entwickelt, das von Kuba oder Venezuela abhängig ist und so zum Verbindungsglied zwischen den beiden Regimen würde. Die Verwüstung Haitis hat die USA unter nachhaltigen Hilfszwang gesetzt.

Ein nicht sonderlich fähiger Hilfssheriff

Auf den ersten Blick nimmt sich die US-Hilfe freilich aus wie eine imperiale Intervention: Flugzeugträger, angelandete Marineinfanterie und ein amerikanischer Drei-Sterne-General, der faktisch das Kommando in dem Land übernommen hat. Das US-Militär kontrolliert den Flughafen und bemüht sich darum, die Lage in Port-au-Prince unter Kontrolle zu bekommen. Daneben wirken die UN wie ein williger, aber nicht sonderlich fähiger Hilfssheriff, dem gesagt werden muss, was zu tun ist. Zwar sind die UN-Strukturen auf Haiti ebenfalls schwer in Mitleidenschaft gezogen worden. Aber die logistischen Fähigkeiten zu schneller Hilfe und zum zügigen Import einer organisatorischen Infrastruktur haben ohnehin nur die USA.

So wichtig die aus aller Welt eingeflogenen Helfer und Hilfsgüter für die Versorgung der Verletzten und Überlebenden sind – die Zukunft Haitis wird sich daran entscheiden, ob es gelingt, eine korruptionsresistente Administration und Polizei aufzubauen, die den Menschen Zukunftsperspektiven eröffnet. Daran hat es in der Vergangenheit gemangelt: Die aufeinander folgenden Diktatoren und Volkstribunen haben das Land als Beute betrachtet und es immer weiter ins Chaos gestürzt.

Nicht die Plünderungen, von denen gegenwärtig viel zu hören ist, sind die größte Gefahr, sondern die Entwicklung von Macht- und Loyalitätsstrukturen, bei denen lokale Bandenchefs durch die Verteilung internationaler Hilfsgüter zu den Chefs ganzer Bezirke werden. Es wäre nicht das erste Mal, dass Hilfsgüter nach Naturkatastrophen die Ressourcen des nächsten Bürgerkriegs sind. Das zu verhindern, sind durch ihre Militärpräsenz allein die USA in der Lage. Deswegen können auch allein sie mittelfristig effektive Hilfe leisten – oder an dieser Aufgabe scheitern.

Erscheinungsdatum 27.01.2010

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