Wo enttäuschte Rechte auf blinde Ideologen treffen
Von Martin Klingst
Den Sozialstaat als Antibild: Die rechtskonservativen Tea-Party-Patrioten lehren in den USA Demokraten wie Republikanern das Fürchten.
An großen Worten fehlt es nicht in Nashville im US-Bundesstaat Tennessee, beim ersten Jahrestreffen der rechtskonservativen Tea-Party-Bewegung. Auch nicht an gewagten historischen Vergleichen. “Obama, gib Acht, wir sind die Gegenrevolution!” ruft ein Redner unter donnerndem Applaus. Ein anderer zieht Parallelen zu den Bürgerrechtsbewegungen der 80er Jahre, zu den Montagsdemonstranten der DDR, zur polnischen Gewerkschaftsbewegung Solidarnosc und den chinesischen Studenten auf dem Platz des Himmlischen Friedens.
Rund 600 so genannte Tea-Party-Patrioten sind an diesem Wochenende in die Hauptstadt der Country-Music, des Blue Grass und Hillbilly geströmt, um ihrem Unmut über Barack Obama Ausdruck zu verleihen. Sie kommen aus allen Richtungen Amerikas und sind sich in einem einig: Obama ist ein Sozialist, der ihr Amerika zerstört.
Seiner Verschuldungspolitik, fordern sie, diesem verantwortungslosen Leben auf Pump müsse Einhalt geboten werden – und zwar sofort. Schluss mit dem Geldsegen für Banken, Schluss mit dem Dollarregen für Autofirmen und Hausbesitzer, für Straßenbau und grüne Technologie! Einige haben sich verkleidet wie ihre Vorbilder, die Revolutionäre der Boston Tea Party von 1773. Mit Dreispitz und Teekessel am Hosenbund streiten sie für weniger Steuern und weniger Staat.
Die Tea-Party-Patrioten eint ein gemeinsames Ziel: Am 4. November, wenn das gesamte Abgeordnetenhaus und ein Drittel des Senats neu gewählt wird, wollen sie die Geldverschwender, die Linken, Liberalen und Moderaten aus dem Kongress jagen und durch Politiker ihrer Gesinnung ersetzen. Und 2012 schließlich soll wieder ein Republikaner ins Weiße Haus einziehen. Aber keiner, der das Füllhorn ausschüttet wie George W. Bush, sondern ein Purist wie Ronald Reagan, der im Staat das Problem und nicht die Lösung der Probleme sah.
Da aber hört die Gemeinsamkeit auch schon fast auf. Im Vorfeld des Treffens gab es bereits viele Reibereien. Mindestens fünf Organisationen beanspruchen für sich den Namen Tea Party. Etliche blieben der Versammlung in Nashville fern, weil ihnen zu viel politische Prominenz erscheint und sie den Charakter der Graswurzelbewegung in Gefahr sehen. Sie stießen sich auch am sündhaft teuren Preis der Eintrittskarte – 549 Dollar, Flug- und Hotelkosten nicht einbezogen – und am 100.000-Dollar-Honorar für den Auftritt Sarah Palins am Samstagabend.
Die Tea Party ist keine politische Partei, will auch keine werden. Sie begreift sich eher als großes Zelt, als ein loses rechtes Bündnis und ist ein ziemlich wildes Sammelbecken. In Nashville stößt die libertäre Antiquitätenhändlerin Jamie Teal aus Tennessee, die das Recht auf Abtreibung vertritt, auf die entschiedene Abtreibungsgegnerin Kathleen Gotto aus Colorado. Hier begegnet der Unternehmer Steve Scott aus Seattle, Verfechter eines säkularen Amerikas, dem evangelikalen Freizeitpastor William Temple aus Georgia, für den Amerika der “judäo-christlichen Tradition” verpflichtet ist.
Zur Tea Party zählen ebenso politikverdrossene Leute wie der Pensionär Alan Davis aus Ohio, der “wahnsinnig wütend” ist auf “diese korrupten Politiker” in Washington. Obamas Wahlheimat Chicago, mit seinen ungezählten Betrugs-, Finanz- und Sexskandalen, ist für ihn Sinnbild der “gegenwärtigen Katastrophe”.
Es wäre falsch, in der Tea Party lediglich eine Versammlung verbohrter Rechter, Verirrter und Verwirrter zu sehen. Sie ist ein politischer Schmelztiegel, ein seltsames Gemisch aus Leuten mit berechtigten Sorgen und kruden Verschwörungstheorien. Die Begegnung mit dieser Bewegung ist wie eine Reise durch den konservativen Mittleren Westen, durch die Welt der weißen, gottesfürchtigen, staatskritischen Joe Sixpacks, die der fernen Hauptstadt und dem politischen Klüngel seit jeher abgrundtief misstrauen. Schwarze und Latinos muss man mit der Lupe suchen.
Tea-Party-Patrioten sind nicht nur blinde Ideologen, sondern ebenso politisch Ungebundene und enttäuschte Demokraten, Unzufriedene und Desillusionierte. Obamas Erneuerungsprogramm weckt in ihnen die uralte konservative Angst vor einer übermächtigen Regierung, vor einem nimmersatten Wohlfahrtsstaat, der dem Bürger tief in die Tasche greift und seine Freiheit beschneidet.
Irgendwie sind viele Tea-Party-Leute auch Realitätsverweigerer. Klimakatastrophe, Gesundheitsnotstand, Bildungselend sind für sie linke Phantasien oder zumindest haltlose Übertreibungen. Und selbst jene, die diese Probleme wahrnehmen, wollen den Staat bei der Abhilfe heraushalten. In Nashville treten an diesem Wochenende die politischen, psychologischen und kulturellen Unterschiede zwischen dem kontinentalen Europa und dem nordamerikanischen Kontinent in aller Deutlichkeit hervor. Der europäische Sozialstaat ist hier das Antibild.
Niemand kann voraussagen, wie lange diese Bewegung halten und wie dauerhaft ihr Erfolg sein wird. Ungewiss ist auch, ob sich die Republikaner der Tea Party oder die Tea Party der Republikaner bemächtigen wird. Jeder will den anderen als Steigbügelhalter missbrauchen. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass diese rechte Revolte an ihren eigenen Widersprüchen zerbricht. Oder daran, dass Extremisten die Herrschaft übernehmen.
In Nashville treffen viele durchaus liebenswerte Graswurzler auf etliche weniger liebenswerte Prominente. Zum Beispiel auf den ehemaligen Präsidenten des Verfassungsgerichts von Alabama, den seine eigenen konservativen Kollegen aus dem Amt entfernten, weil er das Gesetz von Gott ableitet und eine Tafel mit den Zehn Geboten aufstellen ließ.
Oder auf den ehemaligen republikanischen Abgeordneten Tom Tancredo aus Colorado. Er hetzt gegen Einwanderer, hantiert mit rassistischen Anspielungen und beklagt, “Barack Hussein Obamas” Wähler seien ungebildete “Analphabeten”, denn sonst hätten sie ihr Kreuz niemals hinter dessen Namen gesetzt.
Trotz aller Unwägbarkeiten steht jedoch eines fest: Im Augenblick lehren die Tea-Party-Patrioten Demokraten wie Republikaner das Fürchten. Im vergangenen September karrten sie Zehntausende von Demonstranten nach Washington, in Massachusetts beendeten sie die Alleinherrschaft der Demokraten und mit ihrem Protest gegen moderate wie etablierte Republikaner wirbeln sie die Rechten durcheinander. Kaum ein Politiker ist mehr vor ihnen sicher.
Es sei denn er heißt Sarah Palin. Dem Liebling der Tea Party sieht man sogar nach, dass die ehemalige Gouverneurin von Alaska und Vizepräsidentschaftskandidatin in Arizona für John McCain Partei ergreift, obwohl die Rechten lieber einen seinen Konkurrenten, einen strammen konservativen Gesinnungsfreund in Washington sähen.
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