America: A Debate-Free Zone

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Eine debattenfreie Zone namens USA

von Sabine Muscat

01.03.2010

Die politische Diskussion in Amerika ist heillos festgefahren. Im Kongress und in den Medien fehlt die Bühne, auf der Gegner echte Argumente austauschen können.

Die Amerikaner lieben es zu diskutieren. Jeder Schüler lernt, seine Argumente klar zu strukturieren und selbstbewusst vorzutragen, Passanten haben niemals Angst vor den Mikrofonen der Reporter oder Meinungsforscher, und im Internet fällt ein Heer von Bloggern über jedes Thema her. Es gibt jedoch einen Bereich des öffentlichen Lebens, der von der Kultur der zivilisierten Auseinandersetzung ausgespart bleibt: die Politik. In Washington werden die eigenen Argumente nur jenen dargelegt, die schon bekehrt sind. Der Gegner wird diffamiert, bevor er den Mund aufmacht. Man könnte auch sagen: Im Zentrum der amerikanischen Politik steht die Debatte still.Der Gesundheitsgipfel, zu dem Präsident Barack Obama seine republikanischen Kritiker im Kongress am vergangenen Donnerstag eingeladen hatte, war der Versuch, diesen Stillstand zu überwinden. Für die Amerikaner war es eine seltene Gelegenheit, live im Fernsehen zu verfolgen, wie ihre Politiker Argumente austauschen – und auch nach sieben Stunden zu keinem Ergebnis kommen.

Denn die Debatte offenbarte in erster Linie, wie tief die Gräben zwischen beiden Lagern wirklich sind. Die Republikaner ließen Obamas Aufforderung, nach Gemeinsamkeiten zu suchen, gnadenlos abperlen. Und die Demokraten hatten schon vor dem Gipfel beschlossen, dass sie versuchen würden, die Reform ohne die Stimmen der Opposition durch den Kongress zu drücken.

Amerikaner sind die Grabenkämpfe leid

Es mag in der Natur des parlamentarischen Systems liegen, dass die Regierung ihre Pläne durchsetzen und die Opposition sie daran hindern will. Doch in wenigen Ländern leben die Parlamentarier in so scharf getrennten Welten wie in den USA.

Von allen Zielen, die Obama sich gesetzt hatte, ist er mit keinem so gescheitert wie mit seinem Plädoyer für überparteiliche Kooperation. Dabei war gerade das so populär. Die Amerikaner waren die Grabenkämpfe leid, gerade Wähler, die bei keiner Partei registriert sind, reagierten erleichtert auf das Versprechen des neuen Präsidenten. Doch ausgerechnet unter ihm ist es so schlimm wie nie zuvor. Obama trägt Mitschuld an dieser Situation. Er hat die strukturellen Ursachen der Dauerblockade nicht nur grob unterschätzt. Er hat die Grundtendenzen mit seinem Verhalten noch verstärkt.

Die strukturellen Gründe liegen im System der USA, das auf Polarisierung ausgerichtet ist. Das Zwei-Parteien-System, in dem entweder die eine oder die andere Seite an der Macht ist, blendet Zwischentöne aus. Und spätestens seit den ideologischen Auseinandersetzungen der Bürgerrechtsbewegung ist Amerika endgültig in zwei Hälften zerfallen, in die blaue der Demokraten und die rote der Republikaner.

Der Kongress verleiht der Opposition zudem Mittel, um der Regierung das Leben zur Hölle zu machen. Die ultimative Waffe in diesem kalten Krieg der Verfahrensregeln ist der Filibuster: Die Opposition kann Gesetzesdebatten endlos ausdehnen, solange eine Supermehrheit von 60 Stimmen dem nicht ein Ende setzt. Diese 60 Stimmen sind selbst für eine Regierungsmehrheit schwer zu erreichen – Obama hat diese Erfahrung bei dem Versuch gemacht, seine Gesundheitsreform durchzusetzen.

Auch die Medien betätigen sich als Debattenverhinderer. Es gibt wenige Formate, in denen Politiker ihre Argumente verteidigen müssen. Im Mainstream-Fernsehen lädt keine Anne Will oder Maybrit Illner die Politprominenz in ein Studio ein, auf dass dort das beste Argument gewinne. Kürzlich berichteten die US-Medien über ein “Duell” zwischen dem ehemaligen Vizepräsidenten Dick Cheney und seinem Nachfolger Joe Biden, die einander Fehler im Umgang mit dem Terrorismus vorwarfen. Tatsächlich hatten beide Politiker separate Interviews gegeben und waren darin übereinander hergefallen. Im Anschluss bleibt es den Kommentatoren der Sender überlassen, den Sieger auszurufen. Das ist heikel, denn die Kabelfernsehwelt zerfällt in die gleichen Hälften wie der Kongress. Das rote Amerika schaut Fox News, das blaue Amerika MSNBC.

Eine Stimme ist zu wenig

An dieser Konstellation kann Obama nicht viel ändern. Doch hat er die Chance verspielt, es anders zu machen. Wie ein Wahlkämpfer reist er durchs Land, hält Reden und gibt langatmige Interviews. Es sind Vorlesungen, keine Debatten – und Pressekonferenzen meidet er mehr als jeder seiner Vorgänger.

Auf dem Gesundheitsgipfel stellte er sich endlich der Auseinandersetzung. Doch die Waffen waren ungleich verteilt. Der Präsident machte klar, dass er sich in einer Sonderrolle sieht, er gestand sich selbst die meiste Redezeit zu und behielt stets das letzte Wort. Eine solche Schauveranstaltung ersetzt nicht die echte und kontinuierliche Diskussion. Wenn Obama die ideologische Verbohrtheit aufbrechen will, muss er selbst mit gutem Beispiel vorangehen. Er sollte seine Minister und Fachberater in die Fernsehstudios schicken, um seine Politik zu verteidigen – denn es ist nicht gesund, wenn bei wichtigen Themen wie der Gesundheitsreform immer nur eine Stimme erklingt: die des Präsidenten. Obama selbst sollte öfter vom Podium heruntersteigen und der Öffentlichkeit nicht nur Rede, sondern auch Antwort stehen.

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