Der große Obama-Test
Von Martin Klingst
Datum 6.3.2010
Barack Obamas Präsidentschaft zeichnet sich durch seine berühmte “Coolness” aus. Doch ist sein Verhalten für die aktuelle Situation in Amerika noch angebracht?
Nichts hasst Amerikas besonnener Präsident mehr als Kabale und Intrigen. Nicht ohne Grund trägt er den Spitznamen “No-Drama-Obama”. Doch plötzlich steckt seine Demokratische Partei mitten im Skandal-Theater und fragt Amerika: Ist Obamas offensive Nüchternheit, seine berühmte “Coolness”, dieser Lage noch angemessen?
“Alles steht auf dem Spiel,” hat er Mitte dieser Woche seiner Partei und seinen Anhängern auf einer Werbeveranstaltung für die festgefahrene Gesundheitsreform eingeschärft. ” Nicht nur unsere Fähigkeit, dieses Problem zu lösen, sondern irgendein Problem.” Ernst war Obama zwar, aber ruhig im Ton, völlig unaufgeregt und geradezu undramatisch angesichts des Dramas.
Woher bloß nimmt er diese Contenance? Jeden Tag fliegt ihm eine neue Hiobsbotschaft um die Ohren. Die Mehrheit für seine Gesundheitsreform steht noch lange nicht, trotz aller Beschwichtigungs- und Zuversichtsformeln der Demokratischen Parteiführer im Kongress. Die Arbeitslosenzahlen sind weiterhin hoch. Die Iran-Uhr steht auf einer Minute vor zwölf.
Und zu allem Überdruss steckt jetzt eine Handvoll namhafter Demokraten bis zum Hals im Affärensumpf. Ausgerechnet acht Monate vor den Halbzeitwahlen. Ausgerechnet in einem Moment, da einige Wähler zweifeln, ob Obama wirklich die von ihm versprochene politische Wende vollzieht. Und andere in Frage stellen, ob er das Richtige und nicht zuviel auf einmal tut.
Wenn Obama derzeit morgens die Zeitung aufschlägt, fallen ihm drei Namen entgegen: David Paterson, Charles Rangel und Eric Massa. Alle drei sind wichtige Demokraten und kommen aus dem Staat New York, einer bislang zuverlässig demokratischen Bastion.
David Paterson, Charles Rangel und Eric Massa
Paterson ist (noch) Gouverneur des nach Kalifornien bevölkerungsreichsten Bundesstaates und beerbte den über eine Prostituiertenaffäre gestolperten Gouverneur Spitzer. Jetzt hat er seinen eigenen Skandal. Paterson wird beschuldigt, Einfluss auf eine politisch heikle Zeugin genommen zu haben. Sie bezichtigt einen engen Mitarbeiter des Gouverneurs, sie belästigt, geschlagen und gewürgt zu haben.
Angeblich wollte sich Paterson am Telefon nur nach ihrem Befinden erkundigen. Doch am nächsten Tag erschien die Dame nicht mehr zur Gerichtsverhandlung, das daraufhin eingestellt wurde. Außerdem soll Paterson einen Veranstalter bedrängt haben, ihm Freikarten für ein Baseballspiel der Yankees zu besorgen.
Der Zweite, Charles Rangel, ist Kongressabgeordneter. Er zählt zu den wichtigsten schwarzen Politikern Amerikas und war bis zu seinem Rücktritt vor ein paar Tagen auch Vorsitzender eines sehr einflussreichen Ausschusses. Charlie und Patersons Vater Basil gehörten zur berühmten Harlemer Viererbande, der Harlem’s Gang of Four, die für die Gleichberechtigung der Afroamerikaner kämpfte.
Rangel wird vorgeworfen, Steuern hinterzogen zu haben. Unter anderem hat Mieteinnahmen aus einer Immobilie in der Dominikanischen Republik verschwiegen sowie weitere Einnahmen in Höhe von mehr als einen halben Million Dollar.
Eric Massa schließlich, ebenfalls Kongressabgeordneter und erstmals im November 2008 ins Abgeordnetenhaus gewählt, verkündete soeben seinen Rückzug aus der Politik. Angeblich, weil sein Arzt ihm gesagt habe, er könne nicht mehr im Tempo von “160-Stundenkilometern” weiter arbeiten. Er hat wirklich ein Gesundheitsproblem. Doch das hat ihn anscheinend nicht davon abgehalten, eine junge Mitarbeiterin zu bedrängen. Dem Ethikausschuss liegt ihre Beschwerde wegen sexueller Belästigung vor.
Die Vergangenheit kehrt zurück
Überdies: Im Juli beginnt wohl der Korruptionsprozess gegen den ehemaligen demokratischen Gouverneur von Illinois. Auf der Anklagebank sitzen damit auch die politischen Verhältnisse in Obamas Wahlheimat Chicago.
Die Vergangenheit kehrt zurück: In den letzten Jahren der Regierung Bush überrollten mehrere Skandalwellen die Republikaner und verhalfen den Demokraten zur Mehrheit im Kongress. Die Sieger versprachen den Beginn einer Saubermann-Ära. Aber bereits nach kurzer Zeit erweist sich, dass auch etliche Demokraten Dreck am Stecken haben. Barack Obama kann nichts dafür. Doch hat man bislang noch keinen Aufschrei der Empörung aus dem Weißen Haus vernommen.
Der Präsident muss höllisch aufpassen, dass der wachsende Unmut über die Politikerkaste in Washington nicht auch ihn erfasst. Noch ist Obama populärer als seine Politik. Doch wird ihm seine so demonstrativ zur Schau getragene Coolness diesen persönlichen Vorteil auf Dauer sichern können?
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