Blatant Conquest

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Ungenierte Landnahme

Von Inge Günther

10.03.2010

So deutlich hat Washington der israelischen Regierung lange nicht die Leviten gelesen. Sichtlich vergrätzt reagierte US-Vizepräsident Joe Biden auf die Bekanntgabe des Innenministeriums in Jerusalem, 1600 neue Wohnungen in Ramat Schlomo bauen zu wollen, einer religiösen jüdischen Siedlung im annektierten Ostteil Jerusalems. “Ich verurteile diese Entscheidung”, teilte Biden unverblümt mit, “sowohl in der Substanz als auch den Zeitpunkt betreffend.” Gerade jetzt, da Annäherungsgespräche zwischen Israelis und Palästinensern vorgesehen sind, sei ein Schritt zum weiteren Siedlungsausbau “genau von der Art, die das Vertrauen, das wir jetzt brauchen, untergräbt”.

Die Kritik, erteilt vom zweitmächtigsten Mann im Weißen Haus, saß. Dazu ließ Biden seinen Gastgeber Benjamin Netanjahu anderthalb Stunden mit dem Dinner in der Jerusalemer Premierresidenz warten. Dabei hatte das Drehbuch eigentlich die Wiederbelebung einer innigen israelisch-amerikanischen Freundschaft vorgesehen. Die Hauptrolle schien mit Joe Biden, dem Vertreter Barack Obamas, ideal besetzt, dem schon von seiner irischen Mutter die Liebe zu Israel eingeimpft worden ist, und der seit Jahren gute Kontakte zum israelischen Regierungschef Netanjahu pflegt. Zunächst klappte auch alles am Schnürchen: Pünktlich zur Landung Bidens in Israel gab es nach 14 Monaten Stillstand im Friedensprozess mit besagten Annäherungsgesprächen einen kleinen, aber von Washington langersehnten Erfolg zu melden. Biden dankte es Netanjahu mit bedingungslosem Schulterschluss gegenüber den atomaren Gelüsten Irans. Das war Seelenmassage für die Israelis.

Umso provokanter nahm sich das Siedlerprojekt in Ramat Shlomo aus. Die palästinensische Autonomieführung in Ramallah, der Biden am Mittwoch seine Aufwartung machte, ließ sich ihre Chance zu punkten nicht entgehen. Dass Biden ihre Empörung über den Siedlungsbau teilte, nahm man dort befriedigt auf. Aber auch der US-Vize brachte kein Zugeständnis mit, dass Israel die Siedlungspläne stoppen werde.

Zwar entschuldigte sich der israelische Innenminister Eli Jischai leicht zerknirscht, Biden düpiert zu haben. Hätte er die Reaktion geahnt, hätte er den Plan um ein paar Wochen verschoben. Nur: Daran zeigt sich auch, wie ungeniert Israels Regierung nach wie vor über Land verfügt, das nach internationalem Recht den Palästinensern zusteht.

Regierungspolitiker beeilten sich jedenfalls um die Wette, den israelischen Anspruch auf ganz Jerusalem hochzuhalten. Auch Netanjahu denkt so. Kompromissbereit ist er allenfalls im Westjordanland, wo er einen zehnmonatigen, freilich mit reichlich Ausnahmen versehenen Siedlungsstopp erlassen hat. Mehr als das dürfte mit seiner Koalition, die einen eingebauten rechtsnationalen Drall besitzt, auch nicht zu machen sein. Zumal der Regierungschef wenig Kontrolle über Partner wie Jischai oder aber auch Außenminister Avigdor Lieberman zu besitzen scheint, die immer wieder nach Lust, Laune und Klientelinteressen ausscheren.

Das ist nicht nur problematisch für den Friedensprozess, sondern auch im Hinblick auf die Gefahr aus Iran. Um ihr zu begegnen, braucht Israel die USA an seiner Seite. Schon deshalb war es höchst unklug, Biden vor den Kopf zu stoßen.

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