Box-Office Betting: Oscars for Speculators

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Wetten auf Einspielergebnisse: Oscar an die Spekulanten

von Karl Gaulhofer

20.03.2010

In den USA starten Terminbörsen für Film-Einspielergebnisse. Die Regulierungsbehörde in Washington hat ihren Sanktus gegeben. Kritiker sehen ein neues Risikopotenzial für die Finanzmärkte.

Das sind große Stars, falsche Gefühle und echtes Geld. Vor der Kamera bezwingt der Held seine Feinde, überwindet die Liebe alle Widerstände, siegt das Wahre und das Gute. Hinter den Kulissen aber ist das Happy End nie vorprogrammiert. Im Schnitt verläuft einer von zehn Kinostarts völlig anders als erwartet.

Vor der Premiere von „Titanic“ pfiffen die Spatzen von den Dächern von Los Angeles, dass die Großproduktion einen ähnlich katastrophalen Schiffbruch erleiden werde wie der legendäre Passagierdampfer. Tatsächlich erwies sich das tränenselige Melodram als der bis dahin erfolgreichste Streifen der Filmgeschichte. Die romantische Komödie „Stadt, Land, Kuss“ hingegen galt 2001 dank des beispiellosen Aufgebots von sieben Superstars, von Charlton Heston bis Goldie Hawn, als sicherer Kassenerfolg. Es wurde der größte Flop der (Alb-)Traumfabrik, der fast 100 Mio. Dollar verbrannte.

Aus dem Spiel wird Ernst. Wie lange wird also die Schlange am nächsten Freitagabend? Das ist für die kinosüchtigen Amerikaner oft spannender als der Plot auf der Leinwand. Seit 1996 können sie auf der Internetplattform „Hollywood Stock Exchange“ Wetten mit einem Computer abschließen, der ein erwartetes Einspielergebnis errechnet. Zum Einsatz kommt harmloses Spielgeld. Dennoch begeistern sich 200.000 Kinofreaks für das folgenlose Gezocke. Auch wenn sie zuweilen kräftig danebenliegen: Für „Avatar“, das rekordesprengende Science-Fiction-Epos, sagten sie ein Scheitern voraus.

Nur die wenigsten von ihnen ahnen freilich, wer hinter dem virtuellen Wettbüro steht: der Finanzkonzern Cantor Fitzgerald. Er kaufte die Domäne 2001 und verwendet die wettfreudigen Cineasten seither als Laborratten für ein ehrgeiziges Projekt: eine Online-Terminbörse für Blockbuster.

Statt um künftige Preise von Schweinebäuchen, Weizen oder Öl geht es dabei um erwartete Umsätze der Lichtspieltheater. Nach neun Jahren Trockentraining wird es nun ernst. Kinos spielen ihre Kassadaten inzwischen kontrolliert und in Echtzeit ein.

Volkswirtschaftlicher Nutzen. Die Regulierungsbehörde in Washington hat – allerdings nach einer verdächtig langen Prüfzeit – ihren Sanktus gegeben. Seit dieser Woche werden auf „Cantor Exchange“ (CX) Konten mit echten Dollar angelegt. Für den 23. April ist der letzte Zulassungsschritt angesetzt, kurz darauf soll der Handel beginnen.

Das Grundprinzip ist einfach: Sechs Monate vor der Filmpremiere (zu dieser Zeit wird meist nicht mehr gedreht und bereits geschnitten) legt die Börse den Kaufpreis eines Kontrakts fest. Nach vier Wochen Kinolaufzeit wird abgerechnet: Brachte der Film mehr ein, verdient der Investor, wurden die Prognosen nicht erfüllt, verliert er. In der Zwischenzeit handeln die Marktteilnehmer die Kontrakte auf Basis ihrer eigenen Erwartungen.

Cantor wird schon im Sommer Konkurrenz erhalten, von einer zweiten Börse namens Trend Exchange. Mit ihr wendet sich der Risikokapitalfonds Veriana an die üblichen Terminhändler: institutionelle Investoren, professionelle Spekulanten wie Hedgefonds und die Hersteller der Ware – Studios, Produzenten und Verleiher.

Beide Anbieter werden bei der Frage nach dem volkswirtschaftlichen Nutzen ihrer Finanzinnovation nicht verlegen. Der Branche fehlt es an Geld, weil Kredite knapp geworden sind. Damit ist sie stärker auf externe Kapitalgeber angewiesen. Schon in der Vergangenheit haben sich die großen Studios Private-Equity-Fonds an Bord geholt.

Aber auch deren Investoren scheuen heute das Risiko, zumal in einer Branche, deren Produkte auch für sie Überraschungs- und Schockeffekte bereithalten. Gibt es aber eine Terminbörse, können sie sich gegen einen Flop durch einen „Hedge“ versichern. Zudem hält sie der Kurs über die kollektiven Erwartungen auf dem Laufenden. Damit haben sie Informationen wie ein Hollywood-Insider – und sind eher bereit, Geld lockerzumachen.

Vertreiber aber, die voller Inbrunst an den Erfolg ihres Meister- oder Machwerks glauben, erhöhen ihren Einsatz, wenn es Terminkontrakte gibt, die sie für unterbewertet halten. Im Idealfall erhöht die geringere Furcht vor dem Absturz auch die Qualität des Produkts. Investoren trauen sich eher an quer geschriebene Drehbücher, neue Gesichter und kreative Regisseure, statt sich ängstlich an die immer gleichen Stars, teure Spezialeffekte und Fortsetzungen zu klammern.

Sag Ja zum Insiderhandel. Im Gegensatz zum Aktienmarkt sind auf Terminbörsen Insidergeschäfte nicht verpönt. „Profit from what you know“ prangt als Slogan über der CX-Webseite. Damit steigt die Gefahr, dass Beteiligte auf blöde Ideen kommen. So könnte ein Produzent, der beim Dreh merkt, dass dem Leinwandjuwel der Glanz fehlt, auf einen Flop spekulieren und sein Scherflein dazu beitragen – etwa durch kräftige Schnitte beim Werbebudget. Um Interessenkonflikte zu verhindern, wird der Einsatz pro Firma beschränkt: Sie muss an einem Flop immer mehr verlieren, als sie durch Negativwetten gewinnen kann.

So weit, so auch von anderen Terminmärkten bekannt. Neu aber ist die Idee von Cantor, den kleinen Kinofreak zum Spekulieren zu animieren. Zu diesem Zweck wird der Mindesteinsatz – der Preis eines einzelnen Kontrakts – mit einem Millionstel des Einspielergebnisses ungewöhnlich niedrig angesetzt. Zudem zieht Cantor durch die Lande und bringt den bisherigen Fans seiner Wettwebseite das Traden bei.

Neues Risikopotenzial. Auch das lässt sich argumentieren. Denn über Wohl oder Wehe eines Filmprojekts entscheidet ja letztlich das Publikum, das sich die schlichte Frage stellt: Will ich so etwas sehen oder nicht? Auch können Vermarkter aus dem Future-Preis Lehren ziehen: Bleibt er unter den Erwartungen, ist es ratsam, den Werbedruck zu verstärken oder den Trailer besser zu schneiden.

Kritiker sehen aber in diesem Massenmarkt ein neues Risikopotenzial für die Finanzmärkte. Massen von rein spekulativen Investoren, die einen Derivatemarkt auf ein Vielfaches der Basisumsätze aufblähen – das erinnert an die als „Massenvernichtungswaffen“ in Verruf gekommenen Kreditausfallsderivate (CDS). Sie stehen in Verdacht, die Finanzkrise verstärkt zu haben. Der Unterschied liegt freilich im weit niedrigeren Volumen – im Vergleich zur Bankenwelt ist Hollywood ein ökonomischer Zwerg.

Dummes deutsches Geld. Es wäre jedenfalls nicht das erste Mal, dass ahnungslose Anleger mit Investitionen in Filme mächtig auf die Nase fallen. Die Spur führt nach Deutschland: Dort war in den letzten zehn Jahren die Investition in Filmfonds eines der beliebtesten Steuersparmodelle für Spitzenverdiener. Die Produktionskosten konnten sofort steuermindernd geltend gemacht werden. Doch die ahnungslosen Deutschen investierten in so erwartbar erfolglose Projekte, dass es oft bei den massiven Anfangsverlusten blieb. Die Filmstudios amüsierten sich köstlich über „stupid German money“.

In der Finanzkrise war dieses geflügelte Wort wieder in aller Munde – als Spottformel für deutsche Banken, die voll naivem Vertrauen in die US-Wirtschaft kräftig in Subprime-Papiere investiert hatten. Europäisches Drama, amerikanische Farce: Hollywood gibt den Ton an, auch wenn das Sequel an der Wall Street gedreht wird.

(“Die Presse”, Print-Ausgabe, 21.03.2010)

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