Kai Müller comments on a video showing the horrifying brutalization of people in war.
When Reuters photographer Namir Noor-Eldeen and his driver, Saeed Chmagh, were killed in the streets of Baghdad on July 12, 2007, the U.S. military claimed they were “insurgents” and said that they didn’t deliberately target innocent civilians. An exhaustive investigation of the shooting undertaken by Reuters ended with no results. Until eyewitnesses who were aboard the American attack helicopter went public, there was no proof supporting a deliberate killing.
That has now changed. Since WikiLeaks released the original video shot from the helicopter, the Pentagon’s strategy of denial has collapsed like a house of cards. The 30-minute video doesn’t show pictures of a firefight, but rather an execution. The helicopter crew mistook Noor-Eldeen’s camera for a weapon and its telephoto lens for a rocket propelled grenade. Besides, two other men in the group were holding Kalashnikov assault rifles. But their actions, rather than indicating aggressive intent, merely showed them milling around in the dusty square apparently thinking the helicopter hovering overhead was there for some other reason. There were actually battles going on nearby that Noor-Eldeen probably intended to photograph.
“Light ‘em all up!”
“Come on, fire!”
The salvos strike the asphalt out of the blue; a hail of bullets hits the walls of houses and blows the group of men off their feet. Noor-Eldeen runs away looking for cover and falls.
“Keep shootin’!”
The black and white video plus the accompanying radio traffic combine to produce a shocking depiction of man’s brutality to his fellow man in war. It’s also proof of the U.S. Army’s absolute technological superiority with its “eye in the sky” able to see every minute detail and accurately hit its targets. It is these precision weapons, the so-called “smart weapons,” that enable the United States to wage war. They minimize U.S. losses and concentrate destructive power to confined spaces like that crossroads in Baghdad where 12 men were killed and two children severely wounded.
Computerized warfare has become a visual event for soldiers; a first-person game with real victims that soldiers make impersonal with juvenile braggadocio: “Oh yeah, look at that,” one crew member marveled about the accuracy of their weapons, “Right through the windshield!” His buddy giggles. Nobody knows these people. The dumb thing about “smart weapons” is that they’re incapable of keeping their knowledge to themselves.
What remains a mystery is what prompted someone in the Pentagon to anonymously forward this classified material on to the WikiLeaks internet site. In the past, anonymous sources passed such things perhaps to a trusted media reporter and thereby set them on a path of investigative journalism. That’s how the My Lai massacre came to light and first showed Americans how they had turned Vietnam into a slaughterhouse.
It’s probable that frustration in the Pentagon is again reaching the boiling point over this leak. But this time, the public is getting access to the material in relatively unfiltered form. The burden of that is enormous, but even more important is the emotional gravity of the pictures that turns everyone who wants information about the event into voyeurs and hostages to the all-powerful war machinery. They are drawn into the crew’s disgusting cynicism as if it were reality soap opera, real-life shock included. But war is more than just the pictures it creates.
Jagdszenen in Bagdad
Von Kai Müller
8.4.2010
Kai Müller über ein Video, das die erschreckende Verrohung des Menschen durch den Krieg zeigt.
Als am 12. Juli 2007 der Reuters-Fotograf Namir Noor-Eldeen und sein Fahrer Saeed Chmagh in den Straßen von Bagdad getötet wurden, gab das US-Militär dafür „Aufständischen“ die Schuld. „Durch uns wurden unschuldige Zivilisten nicht vorsätzlich getötet“, hieß es. Die von Reuters angestrengte Aufklärung des Falls verlief im Sande. Bis auf Augenzeugenberichte, die vom Beschuss der Journalisten durch amerikanische Kampfhubschrauber sprachen, gab es keine Beweise für eine absichtliche Tötung.
Das ist jetzt anders. Seit bei Wikileaks Originalbilder aus der Bordkamera eines der beteiligten Apache-Hubschrauber öffentlich gemacht worden sind, ist die Abwiegelungsstrategie des Pentagon zusammengefallen wie ein Kartenhaus. Das halbstündige Video zeigt nicht Bilder eines Gefechts, sondern einer Hinrichtung. Dabei wurde den Reuters-Mitarbeitern zum Verhängnis, dass die Hubschrauberbesatzungen Noor-Eldeens Kamera für eine Waffe hielten, das Teleobjektiv für eine Panzerfaust. Zwei weitere Personen hatten überdies Kalaschnikows in der Hand. Von einer feindlichen Absicht der Gruppe ist nichts zu erkennen. Vielmehr schlendern acht Männer über einen staubigen Platz in der irrigen Annahme, die Hubschrauber über ihren Köpfen hätten es auf andere abgesehen. Tatsächlich fanden Kämpfe in der Nähe statt, die Noor-Eldeen wohl auch dokumentieren wollte.
„Light’em all up.“
„Come on, fire.“
Aus heiterem Himmel schlagen die Salven im Asphalt, in Häuserwänden ein und reißen die Menschengruppe von den Beinen. Noor-Eldeen rennt weg, sucht Deckung, stürzt.
„Keep shoot’n.“
Die schwarz-weißen Bilder und der ebenfalls aufgezeichnete Sprechfunkverkehr sind das wieder einmal erschreckende Zeugnis von der Verrohung des Menschen durch den Krieg. Ein Beweis auch für die absolute technologische Überlegenheit der amerikanischen Armee und ihrer „fliegenden Augen“, die jedes Detail erkennen und ihre Geschosse zielgenau abfeuern. Es sind solche Präzisionswaffen, sogenannte Smart Weapons, die eine militärische Großoperation wie den Irakkrieg oder den Einsatz in Afghanistan für die USA wieder führbar gemacht haben. Denn sie halten die eigenen Verluste gering und konzentrieren die Vernichtungskraft auf eng begrenzte Bereiche wie jene Straßenkreuzung in Bagdad, auf der am Ende zwölf Menschen sterben und zwei Kinder schwer verletzt werden.
Darüberhinaus ist der Krieg durch die Elektronisierung auch für die Soldaten zum visuellen Ereignis geworden. Ein Ego-Shooter-Spiel mit echten Toten, die sich die Piloten mit infantilem Geprotze vom Leib halten. „Oh, sieh dir das an“, bestaunt ein Bordschütze die Genauigkeit, mit der ein Projektil „direkt durch die Windschutzscheibe“ eines Autos gekracht ist. Sein Kollege kichert. Ihnen kann keiner. Das Dumme mit den „intelligenten Waffen“ ist, dass sie ihr Wissen nicht für sich behalten.
Allerdings bleibt ein Geheimnis, was den Pentagon-Mitarbeiter bewogen haben mag, das geheime Material über anonymisierte Pfade an die Onlineplattform Wikileaks weiterzuleiten. Früher hätte sich jener Unbekannte vielleicht an einen vertrauenswürdigen Journalisten gewandt und so eine aufwendige Recherche ins Rollen gebracht. Das Massaker von My Lai kam so ans Tageslicht, und den Amerikanern wurde deutlich vor Augen geführt, dass sie Vietnam in ein Schlachthaus verwandelt hatten.
Mag sein, dass im Pentagon wieder einmal der Frust darüber hochkocht, wie weit man es getrieben hat. Doch diesmal dringt das Material weitgehend ungefiltert an die Öffentlichkeit. Seine Beweislast wiegt schwer. Aber noch gewichtiger ist die emotionale Wucht der Bilder, die jeden, der sich informieren will, zum Voyeur und zur Geisel einer omnipotenten Kriegsmaschinerie macht. Man wird hineingezogen in ihren widerwärtigen Zynismus wie von einer Reality-Soap. Authentizitätsschock inklusive. Aber Krieg ist mehr, als die Bilder, die er verursacht.
(Erschienen im gedruckten Tagesspiegel vom 08.04.2010)
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