The Lies of the U.S. Army

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Die Lügen der US-Armee

Von Hauke Friederichs

6.4.2010

Zwei erschossene Schwangere in Afghanistan, zwei tote Journalisten im Irak. Beide Fälle zeigen, wie US-Soldaten die Tötung von Zivilisten vertuschten.

Amerikanische Soldaten suchen nach einem Taliban, sie durchkämmen in der Nacht einen Häuserkomplex. Als sie Männer mit Gewehren entdecken, schießen die Isaf-Männer sofort und ohne Vorwarnung. Im Kugelhagel sterben fünf Zivilisten – darunter zwei Schwangere. Anschließend sollen die Soldaten versucht haben, ihre Spuren zu verwischen.

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Erneut stehen Angehörige der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe für Afghanistan (Isaf) wegen der Tötung von Zivilisten in der Kritik. Der Vorfall ereignete sich bereits in der Nacht zum 12. Februar in der Nähe der Stadt Gardez im Südosten Afghanistans. Der Hergang wurde nun von der Nato bestätigt.

Bis zum Osterwochenende hatten Vertreter des Militärbündnisses von der Tötung zweier Aufständischer gesprochen. Die drei Frauen seien bereits vor der Razzia tot gewesen, behaupteten Offiziere der von der Nato geführten Isaf. Diese Darstellung stellte sich nach afghanischen Ermittlungen und der Recherche amerikanischer und britischer Journalisten als Täuschung – vielleicht sogar als bewusste Lüge – heraus.

Die Razzia entpuppt sich nun als Desaster: Amerikanische Spezialkräfte drangen in der Dunkelheit in einen Hof in der südöstlichen Provinz Paktia vor. Als zwei Männer mit Kalaschnikows in den Händen die Tür öffneten, eröffneten die amerikanischen Soldaten sofort das Feuer, berichtet die Tageszeitung New York Times. Vor den Schüssen gab es anscheinend keine Vorwarnung. Die Opfer sollen verdächtige Geräusche gehört und vermutet haben, dass Taliban um das Haus herum schleichen, schreibt die in Großbritannien erscheinende Times.

Die Isaf übernahm am Ostersonntag nun die Verantwortung für den Tod der fünf Zivilisten: ein 43-jähriger lokaler Polizeichef, sein Bruder, ein Staatsanwalt, eine 22- und eine 37-jährige Frau. Beide waren schwangere Mütter, die elf beziehungsweise vier Kinder hinterlassen. Unter den Opfern war zudem eine 18-Jährige.

Vermutlich wurden die Frauen, die hinter den Männern saßen, aus Versehen getroffen. Wie sie ums Leben kamen, sei heute nicht mehr feststellbar, sagte ein Isaf-Sprecher. Auf eine Autopsie habe man aus Rücksicht auf die Angehörigen verzichtet. Fest steht: Die Erschossenen waren keine Aufständischen und sympathisierten auch nicht mit den Taliban.

Wir wissen jetzt, dass die getöteten Männer lediglich ihre Familien beschützen wollten

Ein Isaf-Sprecher sagte, dass den Soldaten die Information einer glaubwürdigen Quelle vorgelegen habe. Demnach habe sich ein flüchtender Aufständischer in dem gestürmten Gebäude aufgehalten. “Wir wissen jetzt, dass die getöteten Männer lediglich ihre Familien beschützen wollten”, sagte der Sprecher. Die Isaf setze den Dialog mit afghanischen Sicherheitskräften fort, um solche Fehler künftig auszuschließen.

Der Isaf-Trupp bestand aus Mitgliedern eines amerikanischen Spezialkommandos, der Elite der US-Streitkräfte, und afghanischen Soldaten. Die Isaf untersuchte den Fall. Es steht der Verdacht im Raum, dass die Soldaten die Tötung der Schwangeren vor ihren Vorgesetzten und der Öffentlichkeit vertuschen wollten.

So sollen die Soldaten Kugeln aus den Leichen entfernt und die Wunden mit Alkohol gereinigt haben. Zudem hätten sie behauptet, die Frauen seien gefesselt gewesen. Sie gaben außerdem an, dass die Frauen vermutlich von Einheimischen ermordet worden waren, berichteten amerikanische und britische Medien.

Der New York Times sagte Mohammed Tapir, der Vater der getöteten 18-Jährigen: “Ich sah sie an den Leichen arbeiten. Ich sah ein Messer in der Hand eines Amerikaners.” Die Isaf dementierte, dass ihre Soldaten Kugeln entfernt hätten. Dafür gebe es keinen Beweis.

Die Isaf reagierte aber bereits auf die misslungene Aktion: Im März, wenige Tage nach der nächtlichen Tragödie in der Provinz Paktia erließ der Isaf-Kommandeur Stanley McChrystal eine neue Direktive für nächtliche Razzien. Er übernahm persönlich eine stärkere Kontrolle über die Sonderkommandos.

Der afghanische Präsident Hamid Karsai hatte in den vergangenen Wochen mehrfach die ausländischen Soldaten für ihr hartes Vorgehen gegen Zivilisten gerügt. McChrystal hatte bereits vor Monaten versprochen, dass die Isaf der Sicherheit von Unbeteiligten höchste Priorität einräume.

Dennoch starben zahlreiche Zivilisten bei Bombardierungen und Bodengefechten – zuletzt an Ostern. Bei einem Luftangriff der Nato kamen im Süden Afghanistans vier Zivilisten ums Leben. Die Isaf teilte am Dienstag mit, dass zwei Frauen, ein älterer Mann und ein Kind bei dem Luftschlag getötet wurden. Taliban-Kämpfer sollen zuvor aus dem Haus heraus auf afghanische und internationale Einheiten geschossen haben. Internationale Soldaten hätten daraufhin Luftunterstützung angefordert. Die Isaf sagt, ihnen sei nicht bewusst gewesen, dass sich Zivilisten in dem Gebäude aufhielten.

Zivile Opfer durch amerikanische Soldaten werden immer mehr zum Thema – nicht nur in Afghanistan. Die US-Armee steht momentan heftig in der Kritik von Kommentatoren in amerikanischen Zeitungen und Fernsehsendern sowie von Bloggern.

Dazu hat vor allem eine weitere Enthüllung von Wikileaks beigetragen. Die Organisation, die geheime Regierungsdokumente im Internet veröffentlicht, präsentierte am Montag auf einer Pressekonferenz brisantes Material. Ein Film der Bordkamera zeigt die Aufnahmen eines amerikanischen Kampfhubschraubers, der am 12. Juli 2007 in Bagdad eine Gruppe von Männern unter Beschuss nimmt – angeblich weil diese mit Gewehren und Panzerfäusten bewaffnet gewesen sein sollen.

Doch bei den vermeintlichen Waffen handelte es sich um die Ausrüstung eines Kamerateams der Nachrichtenagentur Reuters. Die Opfer waren keine Aufständischen, unter den Toten sind zwei Journalisten. Das US-Militär hält das Video, das die Hubschrauberbesatzung in schlechtem Licht erscheinen lässt, bis heute unter Verschluss. Experten bewerten das nun auf Wikileaks gezeigte Video als authentisch. Auf Nachfrage von Reuters behauptete das US-Militär 2007 noch, die Black-Hawk-Hubschrauber seien mit Sturmgewehren und Raketenwerfern angegriffen worden. Das Video beweist, dass auch diese Aussage eine Lüge war.

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