China’s Multi-Faceted Nuclear Policy

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Pekings vielschichtige Atompolitik

Von Frank Sieren

10.4.2010

China wird sich auf dem Atomgipfel in Washington nicht auf die amerikanische Position zu bewegen. Zu stark sind die Interessenunterschiede.

Atommacht China: Eine atomwaffenfähige Rakete im Pekinger Militärmuseum

Das Obama Träume haben kann, hat er schon gezeigt. Dass die Umsetzung nicht so einfach ist, wenn die Welt zusammensitzt, hat Obama auch schon erfahren. Für den Atomgipfel in Washington gilt das noch mehr als zuvor für den Klimagipfel in Kopenhagen. Die Sorgen sind ähnlich groß: In Kopenhagen ging es darum, die Welt vor der Klimakatastrophe zu retten. Nun gilt zu verhindern, dass atomares Material in die falschen Hände gerät.

Betrachtet man den politischen Spielraum, erkennt man, dass die Konfliktlinien diesmal noch verwirrender sind. Der große Graben jedoch verläuft wieder zwischen China und den USA. Geschickt unterscheiden die Chinesen nämlich zwischen den Zielen des Vertrages über die Nichtverbreitung von Atomwaffen (NPT) und den Mitteln zur Durchsetzung dieser Ziele. Mit den Zielen sind sie einverstanden, bei den Mitteln vertreten sie andere Positionen als die meisten westlichen Länder. Sie nehmen mehr Rücksicht auf die von möglichen NPT-Strafaktionen betroffenen Länder.

Diese Haltung verwundert nicht, wenn man weiß, dass China zu zwei der vier Länder enge politische und wirtschaftliche Beziehungen unterhält, die sich dem NPT nicht angeschlossen haben, jedoch unter dem Verdacht stehen, Nuklearwaffen zu besitzen oder zu entwickeln. Es handelt sich um Pakistan und Nordkorea; die beiden anderen abtrünnigen Nationen sind Israel und Indien. China ist zudem die Großmacht mit den besten Kontakten zu jenem NPT-Mitglied, das der Welt gegenwärtig am meisten Sorgen macht, Iran. Am engsten sind die Beziehungen der Chinesen zu Iran und Pakistan, am schwierigsten zu ihrem unmittelbaren Nachbarn Nordkorea.

Eines wurde bisher sehr deutlich: Im Zweifel ist den Chinesen ein gutes Verhältnis zu diesen Ländern wichtiger als ein einstimmiger Nichtverbreitungschor. Dabei spielen entweder grundlegende Sicherheitsinteressen eine zentrale Rolle, wie im Falle Pakistans und Nordkoreas, oder wirtschaftliche Interessen, wie im Falle Irans, der China mit Öl und Gas versorgt.

Dass sie mit dieser Strategie die Nichtverbreitungsvereinbarung schwächen, ist offensichtlich. Die Chinesen betonen jedoch, dass sie nicht die einzigen sind, die ihre politischen Interessen in den Vordergrund stellen: “Auch eine Weltmacht drückt aus strategischen Gründen bei Israel ein Auge zu”, formuliert ein chinesischer Diplomat vorsichtig und meint damit die USA. Vor allem im Fall Irans beziehen die Chinesen offen Position. Über die Ziele ist man sich zwar mit dem Westen einig: “Iran ist es als ein NPT-Mitglied erlaubt, Kernenergie zu friedlichen Zwecken zu nutzen”, betont He Yafei, seit März diesen Jahres Chinas neuer Botschafter bei den Vereinten Nationen in Genf, “aber Iran sollte nichts entwickeln, was ihn in die Lage versetzt, Nuklearwaffen herzustellen. Das wäre sehr destabilisierend für die Region”.

Darüber, wie man das im Fall Irans verhindert, haben die Chinesen allerdings eigene Vorstellungen: Sie wollen zunächst “jeden anderen Weg ausprobieren”, bevor sie zu Sanktionen greifen. Daran hat sich nichts geändert, auch wenn sie inzwischen bereit sind mit dem Westen über Sanktionen zu reden. “Wir reden ständig bilateral mit Ihnen”, betont He, “um sie zu bewegen, dem Vorschlag der IAEA zu folgen”. Der Vorschlag sieht vor, das gering angereicherte Uran Irans gegen nuklearen Brennstoff für einen Reaktor zu tauschen. Die Iraner halten den Westen hin. Sie wollen den Brennstoff selbst herstellen. In den USA und der EU ist man sich einig, dass das Maß nun voll ist.

Außenminister Yang Jiechi sieht das anders. Er betonte jüngst noch einmal, dass er Sanktionen nicht für eine “grundlegende Lösung” hält. China denke erst über Sanktionen nach, wenn die anderen Mächte alle anderen Optionen für eine diplomatische Lösung ausgeschöpft hätten. Oder wenn Iran die Gespräche abbricht. Beides sei gegenwärtig nicht der Fall. Warum die Chinesen sich in den letzten Tagen etwas flexibler zeigen, ist auch klar: Sie wollen ihre Energieversorgung sicherstellen, ohne sich diplomatisch zu isolieren.

Es ist aber noch immer so, dass den Chinesen im Zweifel ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen wichtiger sind als die Durchsetzungsmacht des Nichtverbreitungsvertrages. Zumal sie keine große Rücksicht auf Länder in der Region nehmen müssen, die unter den Drohungen Irans leiden. Israel spielt in der außenpolitischen Strategie der Chinesen keine zentrale Rolle. Und zu den meisten arabischen Ländern hat Peking gute Beziehungen. Umgekehrt wollen die arabischen Öl und Gas produzierenden Länder es sich nicht mit dem zukünftig größten Kunden verscherzen. Sie kommentieren den chinesischen Sonderweg bei der Durchsetzung des Nichtverbreitungsvertrages gegenüber Iran deshalb nur sehr zurückhaltend.

Und selbst die Türkei, derzeit nicht ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat, neigt zur chinesischen Position, wie Premierminister Erdoğan Bundeskanzlerin Angela Merkel jüngst persönlich versicherte. Die guten wirtschaftlichen Kontakte zu Iran dürften nicht leiden. Die Brasilianer, ebenfalls derzeit nicht ständiges Mitglied, neigen auch dazu, Peking zu unterstützen. Und die Russen sind weiterhin skeptisch, zuweilen hin- und hergerissen. Mehr aber auch nicht. Was Nordkorea betrifft, ist aus dem Blickwinkel Pekings derzeit der Status quo das geringste Übel. Für Peking gibt es keine Alternative zu den “Sechs Parteiengesprächen”. Im Falle Nordkoreas kommt also der Westen gegenwärtig auch nicht an China vorbei.

Was die eigenen Atomwaffen betrifft, wird China kaum mit sich reden lassen. Und das, obwohl das International Peace Research Institute in Stockholm überzeugt ist, dass China weiter aufrüstet. Für die schwedischen Forscher ist China das einzige Land mit Nuklearwaffen, das sein Arsenal noch ausbaut, wenn auch von einem sehr niedrigen Niveau aus. 95 Prozent aller Nuklearwaffen kontrollieren Amerikaner und Russen. China soll die Zahl der nuklearen Sprengköpfe von 161 im Jahr 2007 auf 186 in den folgenden Jahren erhöht haben. Und Peking baut vier neue U-Boote, die Raketen mit nuklearen Sprengköpfen abschießen können.

Insofern sieht es gegenwärtig nicht so aus, als ob Staats- und Parteichef Hu Jintao es für notwendig hält, sich beim Atomgipfel groß auf die amerikanischen Positionen hin zu bewegen. Die Hebel des Westens sind nicht sehr lang. Hu wird den Gipfel nutzen, um den Amerikanern ein weiteres Mal zu zeigen, dass ihr Einfluss schwindet und dass China mit seinen Positionen nicht allein da steht. Die Amerikaner wiederum werden das mit aller Macht zu verhindern suchen. Das beide dabei das eigentliche Thema aus den Augen verlieren, ist sehr wahrscheinlich. Wir müssen uns darauf einstellen, dass das Treffen ähnlich unbefriedigend ausgeht, wie der Umweltgipfel in Kopenhagen.

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