Super-Sized Servings

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Doppelte Portionen

Von Ricarda Junge

Ob Cheeseburger oder Gottesdienst – in den USA liebt man es gehaltvoll. Nur was Gewicht hat, kann dem leiblichen und geistigen Wohl dienen. Kein Wunder also, dass die Portionen in Zeiten der Krise immer größer werden. Die Scheibe wird zum Stück, ein Schnitzel zum halben Schwein, das Steak zum Rindvieh, das freie Nachfüllen zum Abfüllen mit Kaffee und Coke. Gottes Wort dagegen wird in gut verdaulichen kleinen Happen, dafür aber reichlich garniert und mit ordentlich Würze serviert.

Bei uns in Deutschland, wo man dem american way of life zunehmend kritisch gegenübersteht, versucht man es mit dem Gegenteil. Überall wird gespart, der Gürtel enger geschnallt, der Tank nur noch zur Hälfte gefüllt. Nur in der Kirche geizt man nicht – mit Worten. Nicht nur wort-, sondern auch ausgesprochen bildreich fiel zum Beispiel die Ostermesse in einer Lübecker Kirche aus. Anstatt eines Gottesdienstes um Mitternacht gab es dort einen nächtlichen Diavortrag über Mobbing am Arbeitsplatz und den schulischen Leistungsdruck, von dem Konfirmanden berichteten. Wer bis dahin nicht längst vom Schlaf übermannt worden war, gab die Hoffnung auf ein Wunder spätestens beim 23. Dia auf. Der Pastor mit Leidensmiene beim Tischtennis – immer geht´s nur ums Gewinnen! Um den Sieg – des Guten über das Böse – ging es auch am nächsten Morgen beim katholischen Kollegen im Radio. Mutig kam die nasale Männerstimme auf die Missetaten der Priesterbrüder und die daraus folgende Kirchenkrise zu sprechen, um sie gleich darauf in einer gewagten Theorie mit Jesu Auferstehung zu verknüpfen. Nach dem Motto: Von wegen tot und aus die Maus, danach ging es erst richtig los! Lasst die Hoffnung nicht fahren, liebe Brüder und Schwestern, diese Krise geht auch vorbei!

Von so viel Zuversicht kann man in den USA nur träumen, wenn sich die Krise dort augenblicklich auch weniger um priesterlicher Körperlichkeit als viel mehr um die Problemzonen des menschlichen Körpers dreht. Wie viele Kalorien stecken in einem Cheeseburger, wie viele in einem köstlichen Brownie? Ist weniger am Ende doch mehr? Zukünftig sollen alle Fastfood-Ketten den Kaloriengehalt ihrer Waren gut sichtbar auszeichnen. Die Präsidentengattin höchstpersönlich hat der grassierenden Fettleibigkeit den Kampf angesagt. Vermutlich werden ihre Bemühungen schon bald von Erfolg gekrönt sein. Schließlich finden die US-Amerikaner seit jeher nicht nur im Essen Trost, sondern auch in der Kirche.

Wir hingegen, die Kalorientabellen schon in der Grundschule auswendig lernen und auch sonst viel gebildeter als Amerikaner sind, bleiben bei dieser Diät auf der Strecke. Statt geistreicher Nahrung bekommen wir in unseren Kirchen leere Worthülsen von halben Portionen serviert. Bedauerlicherweise ist das nicht nur Ostern der Fall. Was vielleicht auch daran liegt, dass unsere Pfarrer nicht an ihrer Leistung gemessen werden. Bleibt in den USA eine Kirche leer, trägt der Hirte dafür die Verantwortung und nicht, wie bei uns, die Gemeinde. Überraschenderweise führt dieses Prinzip nicht zu Pfarrern, die schon beim Tischtennis vor lauter Leistungsdruck ins Schwitzen geraten, sondern zu Gottesdiensten, die diesen Namen verdienen. Gehaltvoller Genuss ohne schlechtes Gewissen. Vor allem aber ohne das Gefühl, für dumm verkauft zu werden.

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