Obamas harte Hand
Von Dietmar Ostermann
27.04.2010
Es ist ein erstaunliches Schauspiel, das dieser Tage in Washington aufgeführt wird. Ein Präsident, den viele schon abgeschrieben hatten, strebt fast spielerisch und mit kräftigem politischen Rückenwind den zweiten großen Reformerfolg seiner noch immer jungen Amtszeit an.
Nur wenige Wochen nach Verabschiedung der Gesundheitsreform, um die er so lange und erbittert kämpfen musste, erscheint Barack Obama wie ausgewechselt. In der Debatte über die Neuregelung der Finanzmärkte treibt er geschickt eine Opposition vor sich her, die zuletzt vor Kraft kaum laufen konnte.
Diesmal aber haben sich Amerikas Republikaner mit ihrer Blockadepolitik gegen den Präsidenten selbst in die Falle begeben. Die Rechnung, dass es ihnen immer nutzt, wenn Obama scheitert, geht nicht mehr auf.
So skeptisch das US-Volk gegenüber dem Staat und seinen Institutionen sein mag, so wenig Vertrauen die Regierung genießt, so sehr die Hauptstadt Washington zum Schimpfwort wurde: Einen Ort und eine Macht hassen viele Amerikaner noch mehr.
Ausgerechnet die tiefen Häuserschluchten der Wall Street sind im Mutterland des Kapitalismus zum Synonym für all das geworden, was nicht mehr stimmt. Die einstigen Halbgötter der Hochfinanz stehen im Verdacht, Hausbesitzer, Anleger und Steuerzahler abgezockt zu haben.
Dass sie die große Wirtschaftskrise erst maßgeblich mit verursachten, dann teils kräftig daran verdienten, verstößt auch in den USA gegen jedes Gerechtigkeitsempfinden. Viele US-Bürger betrachten die Ausweitung staatlicher Aufgaben unter Obama skeptisch bis ablehnend.
In einem Fall aber wünscht sich eine klare Mehrheit Washingtons harte Hand: bei der Einhegung der Wall-Street-Exzesse. 61 Prozent der Befragten wollen in Umfragen eine Reform, die ein für alle Mal verhindert, dass sich eine verheerende Finanzkrise wie die nach dem Platzen der Immobilienblase vor zwei Jahren wiederholt.
Vor diesem Hintergrund hat sich die politische Dynamik in Washington gewandelt. Zwar zögerte auch der Präsident, die Wall Street hart anzupacken. Lange hörte Obama auf mäßigende Stimmen wie die seines Wirtschaftsberaters Larry Summers, der in den 1990er Jahren selbst zur Deregulierung der Finanzmärkte beitrug.
Erst spät gewann im Weißen Haus die Fraktion um den früheren Notenbankchef und scharfen Wall-Street-Kritiker Paul Volcker die Oberhand. Jetzt aber genießt Obama das seltene Glück, dass richtige Politik zugleich populär sein kann.
Die Republikaner indes haben zu spät erkannt, dass eine Blockade der Finanzmarktreform ihnen mehr schadet als nutzt. Nichts ist derzeit schlimmer in der US-Politik, als den Anschein zu erwecken, auf der Seite der verhassten Wall Street zu stehen.
Anders als bei der Gesundheitsreform ließ Obama seinen Gegnern auch keine Zeit, das Thema in der Öffentlichkeit zu definieren. Als die Republikaner versuchten, die Reform zu einem “Big Bank Bailout” umzudeuten, zu einem Rettungsnetz für die Wall Street, verschärfte der Präsident die Rhetorik gegen die Finanzindustrie – und der Skandal um anrüchige Geschäfte der Großbank Goldman Sachs nahm der Opposition den letzten Wind aus den Segeln. Am Montag wollten die Republikaner eine Debatte im Senat zwar noch einmal verhindern. Hinter den Kulissen aber wird längst über Kompromisse verhandelt.
Erscheinungsdatum 27.04.2010 | Ausgabe: d
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