A Hot Potato Called Immigration

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USA

Ein heißes Eisen namens Einwanderung

Bislang haben sich weder Demokraten noch Republikaner an eine Einwanderungsreform gewagt. Doch jetzt zwingt ein Gesetz aus Arizona Washington zum Handeln.

Ein lokales Gesetz im fernen Arizona hat Barack Obama und dem Kongress über Nacht wieder ein altes, gewaltiges Problem vor die Tür gespült: die illegale Einwanderung aus

Lateinamerika. Bislang haben Demokraten wie Republikaner dieses Thema verdrängt und dessen Lösung allenfalls mit spitzen Fingern angefasst.

Doch sollten der Präsident und seine Partei die lange versprochene Einwanderungsreform nun tatsächlich vorantreiben, wird der Streit darüber alle bisherigen politischen Kämpfe der

Obama-Ägide in den Schatten stellen. Er würde nicht nur Demokraten und Republikaner noch weiter auseinander treiben, sondern womöglich die Parteien selber spalten.

Stein des Anstoßes ist das Gesetz 1070. Der Senat von Arizona hat es jüngst beschlossen, und die Gouverneurin hat es vor wenigen Tagen unterschrieben; in knapp 90 Tagen soll es in Kraft treten. Es erlaubt der Polizei, künftig jedermann zu kontrollieren, bei dem der “begründete Verdacht” besteht, er könnte sich unerlaubt in den Vereinigten Staaten aufhalten.

Mehr noch: Die Bürger von Arizona haben einen Anspruch auf diese Kontrolle und dürfen Polizeibeamte, die dieser Gesetzespflicht nicht genügen, sogar verklagen. Die Ordnungshüter von Arizona werden also bald in der berühmt-berüchtigten Catch-22-Situation stecken: Sie müssen etwas tun, woran sie vielleicht selbst verfassungsrechtlich zweifeln, doch kommen sie dem Auftrag nicht nach, geraten sie selbst mit dem Gesetz in

Konflikt.

Der politische Streit ist voll entbrannt. Die Befürworter des Gesetzes 1070 sagen, es sei fünf vor zwölf und verweisen auf die hohe Zahl illegaler Einwanderer. Allein in Arizona sollen sich eine knappe halbe Million aufhalten, in ganz Amerika sogar elf Millionen. Die Befürworter zitieren die Kriminalstatistik, Zahlen über den wachsenden Drogenhandel, über Gewalt und Menschenschmuggel.

Rund zwei Drittel der Bewohner von Arizona unterstützen das Gesetz. Ihrer Meinung nach hat die Bundesregierung in Washington kläglich versagt und gegen ihre Pflicht verstoßen, Amerikas Grenzen zu schützen. Deshalb habe Arizona allein vorpreschen müssen. Und

weil dort gerade Wahlkampf ist, hat sich auch der um seine Wiederwahl fürchtende republikanische Senator John McCain hinter das Gesetz gestellt und fordert sogar die Entsendung von Soldaten an die Grenze zu Mexiko.

Die Gegner halten das Gesetz für rassistisch und wedeln mit der amerikanischen Verfassung. Ihr ziemlich schlagendes Argument: Künftig werde die Polizei auf der Straße

jeden anhalten und um seine Ausweispapiere bitten, der irgendwie südamerikanisch aussehe.

Denn was begründet den Verdacht auf unerlaubten Aufenthalt? Natürlich das Gesicht, das auf die Herkunft schließen lässt! Alle Latinos drohen also in die Kontrollfalle zu geraten,

denn keinem steht auf die Stirn geschrieben: “Ich bin legal hier!” Das verstößt gegen das Diskriminierungsverbot, selbst wenn die Polizei sich hin und wieder einen blondschöpfigen Skandinavier vorknöpfen sollte.

Auch die Gegner zitieren Zahlen. Drei Milliarden Dollar kostet die Sicherung der Grenze jährlich, siebenmal soviel, wie noch vor 15 Jahren, und Hunderttausende sitzen in Abschiebehaft. Die Gegner sagen, die Razzien in der Landwirtschaft und in den Fleischverpackungsbetrieben trieben viele Unternehmer bereits in die Verzweiflung. Sie seien dringend auf illegale Einwanderer angewiesen, denn sie verrichteten Tätigkeiten,

zu denen sich Amerikaner zu schade seien. Und leider gäbe es kaum Möglichkeiten, Gastarbeiter auf geordnete Weise ins Land zu holen.

Die Gegner des Arizona-Gesetzes fordern deshalb eine umfassende Einwanderungsreform, die sich Dreierlei vornimmt: stärkeren Grenzschutz, Türöffnungen für Gastarbeiter und

eine “Amnestieregelung” für alle illegalen Einwanderer, die bereits seit Jahren, wenn nicht gar Jahrzehnten in den Vereinigten Staaten leben und bereit sind, Steuern nachzuzahlen

und eine Greencard zu beantragen. Diese große Reform hatte den Latinos einst der Wahlkämpfer Barack Obama versprochen – und ebenso sein republikanischer Widersacher

John McCain. Auch Präsident George W. Bush wollte sie, ebenfalls Ronald Reagan.

Die Vorschläge liegen seit Langem auf dem Tisch. Doch Obama traute sich nicht recht, das heiße Eisen namens Einwanderung anzufassen. Schnell kann man sich hier die Finger

verbrennen, denn gerade bei diesem Thema schlagen die Emotionen sehr hoch, nicht nur in Amerika. Deutschland sammelte schmerzliche Erfahrungen in den Auseinandersetzungen

über das Asylrecht und die doppelte Staatsbürgerschaft. Und derzeit spürt der um seine Wiederwahl kämpfende britische Premier Gordon Brown, welche Sprengkraft in diesem Thema liegt.

In Washington stellen jetzt Demokraten wie Republikaner jeweils für sich Rechnungen auf. Doch für die nüchtern Kalkulierenden halten sich Soll und Haben die Waage. Barack Obama und die Demokraten erhoffen sich von einem Vorstoß in Sachen

Einwanderungsreform die Unterstützung der Latinos bei den wichtigen Halbzeitwahlen.

Am 4. November werden das gesamte Abgeordnetenhaus und ein Drittel des Senats neu gewählt. In vielen Wahlkreisen sind die Latinos das Zünglein an der Waage. Doch gegen

diese Hoffung steht die Sorge, dass die Angst vor Einwanderung und Konkurrenz vor allem viele weiße Arbeiter in die Arme der Republikaner treiben könnte.

Den Konservativen geht es nicht besser, sie stecken ebenso in der Zwickmühle. Ein Ja zu Arizona und ein Nein zu einer umfassenden Einwanderungsreform würde die Latinos

endgültig verprellen. Doch niemand, der Mehrheitspartei sein will, darf diese wachsende Wählergruppe dauerhaft verärgern.

An diesem Wochenende wollen Zehntausende von Amerikanern auf die Straße gehen. Die meisten von ihnen werden Latinos sein und gegen das Gesetz 1070 demonstrieren. Schon

vor einigen Wochen kamen viele Tausend nach Washington und machten ihrem Zorn über den zögerlichen Reformwillen im Kongress Luft. Sehr lange wird Barack Obama sie nicht mehr hinhalten können. Schließlich hat er gerade auch ihnen seinen Sieg mit zu verdanken.

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