An Incurable Oil Addiction

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Unheilbare Ölsucht

Von Jakob Schlandt

Die Ölbohrinsel Deepwater Horizon galt als technisches Wunderwerk. Ausbalanciert durch einen Computer, schwebte sie punktgenau im Ozean, um ihren Bohrer eineinhalb Kilometer ins Wasser zu senken und weitere 8000 Meter ins Gestein zu treiben – gleich einem gigantischen, stählernen Moskito. Nun liegt sie zerbrochen auf dem Meeresgrund. Die Menschheit, süchtig nach Kohlenstoffen, saugt mit hohem Aufwand und Risiko die Erde aus.

Doch die Droge wird knapp. Derzeit liegt die Förderung bei rund 86 Millionen Fass (je 159 Liter) Öl pro Tag. Das wird aber nicht ausreichen, um den Mobilitätshunger der Welt zu decken. Allein China verbraucht 2010 vermutlich mehr als neun Millionen Fass pro Tag. 2008 waren es noch nicht einmal acht. Bis 2020 benötigt die Weltwirtschaft mehr als 100 Millionen Fass pro Tag, um wie gewohnt expandieren zu können. Dieser Wert gilt unter den meisten Experten als nicht mehr erreichbar.

Vier Optionen gibt es aber, um zumindest eine katastrophale Verknappung abzuwenden. Erstens das Ölkartell Opec und insbesondere Saudi-Arabien. Dort finden sich etwa vier Fünftel der zusätzlichen Förderkapazitäten. Der Haken: Die Opec kann ihr Öl auch als politisches Druckmittel einsetzen und versucht, den maximal erzielbaren Preis durchzusetzen – auf Kosten der Konsumenten. Zweitens ruht viel Hoffnung auf dem Irak, der fünf Millionen Fass zusätzlich fördern könnte. Doch die politischen Risiken sind so hoch, dass das unrealistisch scheint.

Drittens kann außerhalb der Opec das sogenannte unkonventionelle Öl angezapft werden, also Vorkommen, die an Schiefer oder in Sand gebunden sind oder besonders dickflüssiges Öl. Die Vorräte sind gewaltig, doch die Folgen für die Umwelt auch. Bei der Produktion in Kanada zum Beispiel entsteht dreimal so viel Kohlendioxid wie bei der herkömmlichen Ausbeutung, große Gebiete werden mit Giften verseucht. Vor allem aber lässt sich die Förderung nur sehr langsam steigern.

Und dann gibt es da noch die vierte Option: die Tiefwasser-Vorkommen. Grob geschätzt fünf Millionen Fass pro Tag könnten in den drei vielversprechendsten Regionen in etwa zehn Jahren zusätzlich gefördert werden: vor Westafrika, vor Brasilien, im Golf von Mexiko, möglicherweise auch in der Arktis.

Für den Ölmarkt und damit die USA wären die neuen Quellen eine ordentliche Entlastung. Zwar gibt US-Präsident Barack Obama derzeit den Empörten, und die Ölpest zeitigt nun auch erste personelle Konsequenzen. Der für die Kontrolle der Tiefsee-Bohrungen zuständige Abteilungsleiter der US-Behörde für Mineralienförderung wurde zum Rücktritt veranlasst. Mit Sicherheit werden bald strenge Vorschriften folgen, die festlegen, dass die Konzerne besser auf eine Ölkatastrophe gleich der Deepwater Horizon vorbereitet sein müssen.

Regeländerungen – ja. Doch die USA werden weiter bohren, auch vor der Küste. Ein langfristiger Förderstopp steht nicht auf der Agenda.

Sogar unter dem unmittelbaren Eindruck der Ölkatastrophe ist die Angst vor hohen Benzinpreisen übermächtig: Knapp 60 Prozent der US-Bürger unterstützen laut jüngsten Meinungsumfragen zusätzliche Offshore-Bohrungen. Das zwanghafte Verhalten von Süchtigen übertrumpft noch jedes Verantwortungsbewusstsein.

Erscheinungsdatum 19.05.2010 | Ausgabe: d

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