Barack und die Anti-Obamas
von Christian Wernicke
20.05.2010
“Change” wollte Barack Obama. Doch rechte und linke Populisten verheißen mittlerweile “wirklichen Wandel” und schüren die Wut auf “das Establishment” in Washington.
Alles wird neu, schon wieder. Gerade mal eineinhalb Jahre ist es her, dass sich die Vereinigten Staaten dem Rausch des Wandels hingaben: Change lautete das Versprechen, mit dem ein junger, stets strahlender Mann seine Nation verzückte. Der Wahlsieg Barack Obamas gab vielen Amerikanern den Glauben zurück, sie könnten ihr großes Land neu begründen, ja sich selbst neu erfinden.
Nun jedoch, nur 18 Monate später, wendet sich das Zauberwort gegen den Magier Obama. Und gegen ganz Washington: Rechte wie linke Populisten verheißen “wirklichen Wandel” und schüren die Wut auf “das Establishment” in der Hauptstadt.
Also Kommando zurück, Wende nach rechts? So einfach, so klar (und so eindeutig falsch) kann die aktuelle Lage nur deuten, wer schon im November 2008 irrte und damals glaubte, Amerika habe mit der Wahl Obamas den Weg nach links eingeschlagen. Diesem Wunschdenken gaben sich viele hin – manche Demokraten in den USA, viele Beobachter aller Couleur in Europa. Doch sie alle unterschätzten, wie sehr der Triumph des neuen Mannes schlicht der Sehnsucht geschuldet war, die achtjährige Ära von George W. Bush vergessen zu machen. Amerika suchte den Anti-Bush, Amerika fand Obama.
Dieser Präsident Obama genießt noch immer Respekt. Vorbei sind zwar die Zeiten, da das Volk dem ersten schwarzen Mann im Weißen Haus beinahe gottgleich huldigte. Aber die meisten Amerikaner beäugen ihren Präsidenten nach wie vor mit Sympathie. Es ist nicht die Person, sondern die Politik, die sehr vielen Bürgern Unbehagen bereitet. Und die etliche Menschen inzwischen auf die Barrikaden treibt.
Der laute Protest der sogenannten Tea-Party-Bewegung ist dabei nur eine, wenn auch die schillerndste Facette. Immerhin ein Fünftel der amerikanischen Gesellschaft unterstützt diese rechtskonservative Aufwallung, die sich seit einem Jahr auf der Straße und in Bürgerversammlungen austobt: Es sind fast nur Weiße, ältere Männer zumeist mit überdurchschnittlicher Ausbildung und Gehalt. Denen war schon der späte George W. Bush zu links.
Denn schließlich war es der Republikaner, der bei Ausbruch der Finanzkrise im Herbst 2008 wider alle Parteilehre den Bankern und Bonzen an der Wall Street mit Milliardenkrediten aushalf. Der Zorn am rechten Rand wuchs sich aus zur nackten Wut, als später Obama ein riesiges, schuldenfinanziertes Konjunkturprogramm draufsattelte und seine Gesundheitsreform vorantrieb. Seither sehen sie ein Gespenst herumziehen im Weißen Haus – das Gespenst des Sozialismus.
Die Hirngespinste der Tea-Party-Anhänger allein muss Obama kaum fürchten. Im Gegenteil, diese Bewegung könnte – rein wahltaktisch und kurzfristig – dem Präsidenten und seinen demokratischen Parteifreunden helfen bei den im November anstehenden Kongresswahlen. Denn die konservative Rebellion führt dazu, dass die Republikaner nun ein ideologisches Fegefeuer erleben und immer konservativere, linientreue Kandidaten aufstellen. Exakt diese Radikalisierung könnte im November aber viele unabhängige Wähler davon abhalten, für die Opposition zu stimmen.
Die wahre Gefahr für Obama
Die wahre Gefahr für Obama lauert vielmehr in der Mitte. Denn auch dort ist die Angst vorm Leviathan, vor dem übermächtigen Staat, längst angekommen. Fast jeder dritte Amerikaner erklärt inzwischen, er empfinde seine eigene Bundesregierung als “große Bedrohung”. Nie zuvor mochten so wenige Bürger (22 Prozent) ihr Vertrauen in Washington bekunden. Der Frust, die Wut auf “die da oben” haben beinahe alle Institutionen erfasst. Der Ruf von Banken und Konzernen, von Medien wie Gewerkschaften ist ähnlich ruiniert wie das Image jedweder Regierung.
Obama, so scheint es, wird zum Opfer eines Paradoxes: Seine bislang größten Erfolge – das staatliche Konjunkturprogramm gegen die Weltwirtschaftskrise, die Gesundheitsreform zur Heilung der US-Gesellschaft – erwecken Urängste der Nation. Ähnlich wie die Deutschen reagieren Amerikaner mit allergischer Furcht, sobald ihre Regierung zu viele Schulden anhäuft. In Deutschland denken viele instinktiv an Inflation und an Weimar, in den Vereinigten Staaten sehnen sich viele nach einer vermeintlich guten alten Gründerzeit, da es nirgendwo eine Obrigkeit und im Westen nur Freiheit gab – angeblich.
Zuletzt war es Ronald Reagan, der den Amerikanern diesen Glauben an die eigenen Mythen zurückgegeben hatte. Und selbst Obama bekundet, er wolle seine Präsidentschaft an dem republikanischen Heroen messen lassen – und die Nation auf einen neuen Weg führen. Die Krise ließ ihm keine Zeit, zunächst um Vertrauen zu werben – für sich und für den Staat. Seine Regierung musste eiligst handeln. Deshalb aber ist sie nun auch von der Sorge geplagt, dass sich die Reformen nicht schnell auszahlen werden und Millionen neue Jobs und mehr soziale Gerechtigkeit zunächst einmal ausbleiben werden.
Obama will Amerika zeigen, dass nicht alles Böse von oben kommt. Gelingt ihm dieser Beweis nicht bald, wird ihn der nächste Wandel aus dem Amt jagen.
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