Obama Eclipses Merkel

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FINANZMARKTKRISE

Obama überholt Merkel

Die Kanzlerin verzettelt sich im Kampf. Der US-Präsident handelt in der Krise weit entschlossener – seine

Finanzmarktreform passierte den Senat.

Auf den ersten Blick hat Angela Merkel ihrem Amtskollegen Barack Obama

einiges voraus. Wenn sich die Kanzlerin erst einmal festgelegt hat, dann bekommt sie ruckzuck ihren Willen.

Keine zwei Wochen ist es her, seit die EU ihr beispielloses 750-Milliarden-Euro-Rettungspaket beschlossen hat. Bereits am Freitag wird der Bundestag den deutschen Beitrag mehrheitlich beschließen. Überraschungen hat die

Regierungschefin keine zu befürchten.

Ganz anders geht es Barack Obama. Fast ein Jahr ist vergangen, seit der

Präsident seine Pläne für eine Finanzreform in Grundzügen vorgestellt hat. Am Donnerstagabend erst konnte sich der Senat zu einer Vorentscheidung durchringen: Die heillos zerstrittenen Politiker einigten sich darauf, dass sie die Debatte beenden und endlich über das vorliegende Gesetzespaket abstimmen.

Was wie eine belanglose Formalie klingt, ist der lang erwartete Durchbruch: Noch am Vortag hatte das Regierungslager in dieser Frage eine harte Niederlage eingesteckt. Kein Wunder, dass Obama nur Minuten nach dem Erfolg vor die Kameras im Garten des Weißen Hauses eilte. “Die Lobbyisten der Wall Street haben heute verloren”, freute sich Obama. “Die amerikanischen Steuerzahler werden nie wieder die Rechnung für das unverantwortliche Handeln einiger weniger übernehmen.”

Noch in der Nacht, kurz vor drei Uhr deutscher Zeit, nahm der Senat das Gesetz endgültig an. Nun müssen sich Senat und Repräsentantenhaus noch auf ein gemeinsames Gesetz einigen, damit Obama endlich unterschreiben kann.

Dann feiert der Präsident nicht nur seinen zweiten innenpolitischen Triumph nach der Gesundheitsreform. Dann sieht die Welt auch, was Washington von Berlin und Brüssel zurzeit unterscheidet. Während Deutschland und Europa mit

Feuerwehreinsätzen für Griechenland und den Euro und gegen mutmaßlich böse Spekulanten vollauf beschäftigt sind, treten die USA den Ursachen der

Finanzkrise mit grundlegenden Umwälzungen entgegen.

Mehr Aufsicht und mehr Regulierung soll es geben. Dem Handel mit Derivaten etwa verordnet Obama mehr Transparenz. Die komplexen Finanzinstrumente sollen künftig nur noch über zentrale Verrechnungsstellen gehandelt werden

dürfen.

Bislang konnten Finanzfirmen viele Wetten dieser Art unter sich ausmachen. Das Risiko für die Allgemeinheit ist beträchtlich: Der Markt mit außerbörslichen Derivaten wird auf mehr als 600.000 Milliarden Dollar geschätzt.

Außerdem sollen Banken Einlagen ihrer Kunden, die der US Einlagensicherungsfonds FDIC absichert, nicht mehr für den Handel auf eigene Rechnung verwenden dürfen. Möglicherweise müssen Geschäftsbanken ihre aufs Zocken spezialisierten Abteilungen sogar abspalten. Finanzfirmen sollen zudem

abhängig von ihrem Risiko deutlich höhere Rücklagen bilden, um für finanzielle Engpässe weniger anfällig zu sein.

Außerdem soll sich eine neue

Superbehörde künftig um die

Konsumenten kümmern und den

Bürgern eine Stimme geben, wenn

es um komplizierte

Kreditkartenbestimmungen und

zweifelhafte Studentenkredite geht.

“Wir bekommen den stärksten

Verbraucherschutz in der Geschichte der Vereinigten Staaten”, kündigte Obama an.

Die meisten Republikaner sehen darin eine Überforderung des Staats. Einige

aber stimmen trotzdem mit den Demokraten. Schließlich sind im Herbst

Parlamentswahlen. Und die große Mehrheit des Volkes ist noch immer sauer auf die Wall Street, wie Umfragen zeigen.

Um die internationalen Finanzmärkte aber wirklich in den Griff zu bekommen,

müssten Europa und Amerika gemeinsam handeln, glauben viele Fachleute. “Wenn sie sich nicht abstimmen, klappt eine Regulierung nicht”, sagt Robert Brusca, Chefökonom von FAO Economics. “Finanzfirmen können sonst jede Regel umgehen.”

Da viele Banken auf unterschiedlichen Märkten agieren, führe alles andere zu

Chaos. “Viel Hoffnung habe ich aber nicht. Jedes Land scheint seine eigenen Ideen und Prioritäten zu haben.” Dafür gibt es viele Beispiele. Wenn sich die Regierungschefs der G-20-Staaten im Juni in Toronto treffen, werden sie Gelegenheit haben, über die wichtigsten Streitpunkte zu diskutieren. Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Überblick:

Banken: Präsident Obama will die Größe von Finanzinstituten begrenzen. Too big to fail – also dass im Zweifel der Steuerzahler für strauchelnde Banken einspringen muss – soll es nicht mehr geben. Eine Aufspaltung von Banken wird diskutiert. In Deutschland gibt es bislang keine Spur von solchen Plänen. Dabei waren es vor allem Landesbanken, die mit ihren unbegrenzten Möglichkeiten nicht umgehen konnten und massenweise Milliarden versenkten.

Finanztransaktionssteuer: Beim letzten Gipfel in London blockierten die USA die Idee, auf alle grenzüberschreitenden Geldtransfers eine Art Mini-Mehrwertsteuer zu erheben. Auch weil eine Umsetzung auf internationaler Ebene aussichtslos schien, bemühte sich die Kanzlerin nicht sonderlich. Das ist nun anders. Die Bundesregierung ist dafür, andere in Europa auch. Das Thema wird

plötzlich zum wichtigen Tagesordnungspunkt auf dem kommenden G-20-Gipfel.

Derivate: Bislang handeln Europa und die USA getrennt. Während Amerika

gerade Nägel mit Köpfen macht und den Handel unter Aufsicht stellen will,

wartet Europa auf Vorschläge der EU-Kommission. Die will im Juni erklären, wie sie das Risiko des Derivate-Handels beschränken will. Einzelne Marktteilnehmer sollen keine zu großen Bestände aufbauen können und so den Markt manipulieren.

Sondersteuer: Die USA wollen die Banken an den Kosten für ihre Rettung

nachträglich beteiligen und im Laufe von zehn Jahren 50 Milliarden Dollar

einsammeln. Auch Deutschland will Geld von den Finanzinstituten haben, um damit einen Rettungsfonds für taumelnde Banken einzurichten.

Hedgefonds: Europa und Amerika wollen, bislang getrennt voneinander,

jeweils die Aufsicht über die Aktivitäten von Hedgefonds verbessern. Dazu soll unter anderem eine Registrierungspflicht eingeführt werden, damit eine Kontrolle leichter wird.

Doch auch ohne formale Kooperationsabkommen spielen die Amerikaner ihren Einfluss in Europa aus. Als Angela Merkel in Sachen Griechenland-Rettung so lange zögerte, drängte Obama seine europäischen Kollegen immer wieder dazu, schneller zu handeln.

In der Nacht vor der entscheidenden Sitzung in Brüssel telefonierte Obama mit Merkel und Frankreichs Präsident Sarkozy. Die Botschaft: Stillhalten wird das Problem nicht lösen, das macht alles nur schlimmer. Umso größer die Freude, als sich die Europäer dann doch noch zum Kraftakt durchrangen.

Dermaßen in Fahrt gekommen, nahm es die deutsche Regierung dann gleich

noch mit den Spekulanten auf. Das im Expressverfahren ergangene Verbot von ungedeckten Leerverkäufen bestimmter Anleihen und Finanztitel löste an der Wall Street allerdings Entsetzen aus.

Zwar nicht wegen des Verbots an sich: Ungedeckte Leerverkäufe, also ein Verkauf von Wertpapieren, die Spekulanten weder besitzen noch sich geliehen haben, sind in den USA schon lange illegal. Aber die Art und Weise, wie Merkel und ihr Finanzminister Wolfgang Schäuble die Märkte auf die Nachricht vorbereiteten, schockierte: nämlich gar nicht. “Hat diese Frau irgendeine Ahnung, was sie da tut?”, fragte Finanzkolumnist Greogory White und meinte damit die deutsche

Kanzlerin. Übel nimmt man Deutschland weniger den politischen Alleingang ohne Rücksichtnahme auf die europäischen Nachbarn als das überfallartige Vorgehen.

Dabei gibt es aus US-Sicht auch ohne solche Sponti-Aktionen genug Probleme

östlich des Atlantiks. Je weiter der Euro fällt, desto besser ist das zwar für die Sanierung der europäischen Staatshaushalte, aber umso schlechter für die USExporte.

Amerikanische Produkte werden in Europa schlicht teurer – nicht gerade eine gute Ausgangsposition, um die Ausfuhren zu steigern und endlich das hohe Handelsdefizit etwas zu verringern. “Die Frage ist, wie tief Washington den Euro fallen lässt, bevor man an den Währungsmärkten interveniert”, meint der

Ökonomieprofessor Melvyn Krauss von der New York University.

Noch mehr Sorgen als um Exporte macht sich die US-Regierung allerdings um die internationalen Geldflüsse. “Im schlechtesten Fall könnten die Finanzmärkte wegen der Euro-Schuldenkrise einfrieren, wie es 2008 der Fall war”, warnte ein

Vorstandsmitglied der US-Notenbank am Donnerstag.

Obamas Top-Berater Paul Volcker, ein ehemaliger Notenbankchef, sieht deshalb eine Nagelprobe auf Europa zukommen. Der Kontinent stehe vor einem langen, steinigen Weg. “Dieser Prozess wird Jahre dauern”, warnte Volcker.

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BANKENABGABE

Die Bundesregierung hat sich bereits auf eine Bankenabgabe verständigt: Demnach sollen alle Institute einen jährlichen Anteil in einen Fonds einzahlen, aus dessen Mitteln künftig Banken aufgefangen werden sollen, die in Schieflage geraten.

Ziel sind jährliche Einnahmen von rund 1,2 Milliarden Euro. Die Abgabe sollen alle Institute zahlen.

Die Höhe des Beitrags soll sich nach dem Risiko richten, das eine Bank eingeht. Das bedeutet zwar, dass Sparkassen und Genossenschaftsbanken weniger zahlen müssen als private

Banken. Dennoch sind diese Institute gegen eine Bankenabgabe – und plädieren stattdessen für die Finanzmarkttransaktionssteuer.

FINANZTRANSAKTIONSSTEUER

Eine Finanzmarkttransaktionssteuer (kurz: FTT) funktioniert im Prinzip wie eine Mehrwertsteuer auf Bankgeschäfte. Der Staat belegt dabei den Handel mit fast allen Finanzprodukten mit einer minimalen Steuer.

Angedacht sind Steuersätze von 0,01 bis 0,5 Prozent. Je nach Steuersatz und Schätzung würde die Steuer dem deutschen Staat zwischen 12 und 36 Milliarden Euro einbringen. Zudem soll sie das Geschehen an den Finanzmärkten entschleunigen und verhindern, dass sich riesige Blasen bilden.

Die Steuer galt lange als “Utopistensteuer”, weil sie ihre größte Wirkung entfaltet, wenn alle

Länder mitmachen – die Idee aber international zu wenige Anhänger hatte. Nun aber scheint es in Europa zunehmend mehr Befürworter der Steuer zu geben. In Deutschland fordern die Grünen, die SPD und die Linken die Einführung der Transaktionssteuer. Auch die Kanzlerin hat sich mittlerweile für die Idee ausgesprochen.

FINANZAKTIVITÄTSSTEUER

Das jüngste Modell in der deutschen Debatte ist die Finanzaktivitätssteuer (FAT). Sie wurde vom Internationalen Währungsfonds (IWF) in Washington ins Spiel gebracht und funktioniert im

Prinzip wie eine Mehrwertsteuer für den Finanzsektor.

Besteuert werden soll allerdings nicht der Handel, sondern ein Wert, der sich aus den Gewinnen und Gehaltszahlungen der Banken errechnet.

Je nachdem, wie hoch man die Steuer ansetzt, soll sie verhindern, dass im Finanzsektor exzessive Gewinne anfallen. Auch soll sie den Vorteil der Finanzindustrie ausgleichen, die

bislang – anders als andere Branchen – von der Mehrwertsteuer befreit war.

Allerdings ist nicht klar, ob die Steuer in Deutschland verfassungsgemäß eingeführt werden kann, weil sie sich ausschließlich auf eine Branche richtet.

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