Ein weiterer Rückschlag
Von Matthias Rüb
02. Juni 2010
Ein Treffen Barack Obamas mit Benjamin Netanjahu hatte die Spannungen zwischen Amerika und Israel lösen sollen. Doch dann ereignete sich der tödliche Zwischenfall mit der Gaza-Solidaritätsflotte.
Für die vorzeitige Heimreise des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu aus Kanada, von wo er nach Washington zu dem für Dienstag geplanten Treffen mit Präsident Barack Obama im Weißen Haus hätte weiterfliegen sollen, hatte die amerikanische Regierung Verständnis: Obama habe noch am Morgen vor Netanjahus Abflug mit diesem telefoniert und vereinbart, das Treffen „bei der allernächsten Gelegenheit“ nachzuholen, hieß es am Dienstag.
Tatsächlich weiß man in Washington wie in Jerusalem, dass die Verschiebung des Gesprächs zu keinem ungünstigeren Zeitpunkt hätte kommen können. Nach dem eisigen Treffen Netanjahus mit Obama Ende März, bei dem das Weiße Haus nicht einmal das übliche Foto vom Empfang am Kamin zuließ, bemühte sich vor allem Obamas Stabschef Rahm Emanuel um Entspannung zwischen den zerstrittenen Verbündeten und auch um eine atmosphärische Aufhellung im persönlich angespannten Verhältnis zwischen Obama und Netanjahu.
Missstimmung und Misstrauen
Benjamin Netanjahu musste vorzeitig abreisen
Der Besuch von Vizepräsident Joseph Biden im März in Israel, der von der Ankündigung fortgesetzten jüdischen Wohnungsbaus im besetzten Ostteil Jerusalems überschattet wurde, war der vorläufige Tiefpunkt in der von Missstimmung und Misstrauen geprägten Geschichte der amerikanisch-israelischen Beziehungen seit dem Machtantritt Obamas im Januar 2009.
Emanuel kommt in den Beziehungen eine Schlüsselrolle zu, weil er selbst Jude ist, längere Zeit in Israel lebte und als Freiwilliger einst bei den israelischen Streitkräften diente. Nach dem missratenen Treffen Netanjahus mit Obama im Weißen Haus kritisierte Emanuel vorsichtig die Haltung der eigenen Regierung, die in der delikaten Beziehung zu Israel nicht immer glücklich gehandelt habe. Die Einladung an Netanjahu zu dem zweiten Treffen im Weißen Haus überbrachte Emanuel vergangene Woche persönlich in Jerusalem bei einem Besuch anlässlich der Barmizwa-Feier seines Sohnes Zach in Israel.
Doch auch das Verhältnis zwischen Netanjahu und Emanuel ist alles andere als harmonisch. Vom israelischen Ministerpräsidenten ist überliefert, dass er in einem privaten Gespräch Obamas einflussreichen Stabschef einmal als „sich selbst hassenden Juden“ bezeichnete – in Anspielung auf das 1930 erstmals erschienene Buch „Der jüdische Selbsthass“ des in Hannover geborenen jüdischen Philosophen Theodor Lessing. Der Umstand, dass die in Washington regierenden linken Demokraten mit den Rechten von Netanjahus Likud-Block oder gar mit den Ultrarechten von Außenminister Avigdor Lieberman nicht auf der gleichen politischen Wellenlänge kommunizieren können, erschwert die angestrebte Entspannung.
Israelische Zweifel an der „Schutzmacht“ Amerika
Auch die jüngst beendete Überprüfungskonferenz zum Nichtverbreitungsvertrag für Atomwaffen (NVV) am UN-Sitz in New York, bei der sich Washington einem Schlussdokument nicht widersetzte, in dem die „informelle Atommacht“ Israel zum Beitritt zum NVV aufgerufen wird, Iran und sein Atomprogramm aber unerwähnt blieben, hat nicht zum Abbau der Spannungen beigetragen. Dass sich Obamas Nationaler Sicherheitsberater James Jones und andere Washingtoner Regierungsvertreter kurz nach dem Ende der New Yorker Konferenz skeptisch über das Schlussdokument und auch über die darin beschlossene Konferenz von 2012 zu einem atomwaffenfreien Nahen Osten äußerten, hat die wachsenden Zweifel der israelischen Regierung an der „Schutzmacht“ Amerika nicht beseitigt.
Auch für die vom amerikanischen Nahost-Vermittler George Mitchell angestoßenen indirekten Friedensgespräche zwischen Israel und den Palästinensern ist der blutige Zwischenfall im östlichen Mittelmeer ein schwerer Rückschlag. Bisher hatte Washington versucht, das Problem des von der Terrororganisation Hamas kontrollierten Gazastreifens gleichsam auszuklammern und die Gespräche der israelischen Regierung mit der gemäßigten Palästinenserführung in Ramallah im Westjordanland dennoch voranzutreiben.
Washington hat bisher die Blockade des Gazastreifens nur verhalten kritisiert. Jetzt drängt sich das Gaza-Problem und zumal die Haltung Washingtons zur israelischen Blockade in den Vordergrund und erschwert die angestrebten indirekten Friedensverhandlungen unter Mitchells Vermittlung. Eine Alternative zu Mitchells zähen Bemühungen und zur weiteren, von Rahm Emanuel vorangetriebenen Annäherung zwischen Obama und Netanjahu weiß in Washington aber niemand.
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