Strategie: Chaos
von Stefan Kornelius
24.06.2010
Der Rauswurf des Nato-Kommandeurs McChrystal fällt auch ein klares Urteil zur Überlebensfähigkeit von Barack Obamas Afghanistan-Strategie. Der Einsatz gerät zum hoffnungslosen Fall.
Die Beziehungsgeschichte des Westens mit Afghanistan steckt voller Missverständnisse. So absurd Afghanistans Rolle als Sehnsuchtsort der Hippies in den siebziger Jahren war, so kurios muten heute alle Demokratisierungs- und Befriedungsvorstellungen an. Geblieben ist Afghanistan indes immer: Terra incognita, ein mysteriöser Kriegsort, ein Land, dessen politische Mechanik von außen nur schwer zu verstehen ist.
Besonders schwergetan mit Afghanistan haben sich die USA, die das Land in und nach der sowjetischen Besatzungsphase als geopolitischen Zentralschlüssel verstanden haben: Afghanistan als Damm gegen russischen Expansionismus, als Brücke und Stabilisator für den Subkontinent mit dem indisch-pakistanischen Konflikt, als Vorposten ins energiereiche Zentralasien und schließlich auch als Wachstation für alle chinesischen Hegemonie-Gelüste in der Region. All diese Ziele kann man verfolgen, aber nur wenn man vorher die schwierigste Aufgabe löst: Afghanistan berechenbar zu machen, Stabilität zu entwickeln. Das ist bisher noch keiner ausländischen Macht gelungen. Auch die USA haben diese Aufgabe auf fatale Weise unterschätzt.
So geriet die Post-9/11-Okkupation Afghanistans zu einer Leidensgeschichte voller vergebener Chancen. Nichts illustriert dies besser als die stattliche Sammlung von Strategien, die im Laufe der vergangenen neun Jahre geschrieben und wieder verworfen wurden: Zentralmacht oder Regionalisierung, zivile oder doch eher militärische Präsenz, Parlament oder Dschirga, offener Krieg gegen die Taliban oder Kommandoaktionen, Versöhnung oder Vernichtung – alles wurde in und für Afghanistan ausprobiert. Nur wenig hat funktioniert.
Erst in der Endphase der Bush-Regierung gelang es dem damaligen Kommandeur, General David McKiernan, die amerikanische Politik von einer Strategie zu überzeugen, die in Deutschland schon lange als “vernetzter Ansatz” herumgeisterte: das enge Verweben von militärischen und zivilen Plänen, die Einbeziehung lokaler Machthaber, die Übergabe der Verantwortung an die Afghanen. Heute trägt diese Strategie den Stempel des amtierenden amerikanischen Präsidenten und wurde ganz eng mit der Person des jetzt abgelösten Kommandeurs, Stanley McChrystal, verknüpft. Mit McChrystals Abgang fällt auch ein klares Urteil zur Überlebensfähigkeit der Strategie. Die Berufung von David Petraeus kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Afghanistan-Politik der USA nun wieder mit dem innenpolitischen Griffel geschrieben wird. Weil McChrystal öffentlich an den politischen Fähigkeiten so ziemlich aller bedeutenden Afghanistan-Akteure der USA zweifelte, hatte er wohl auch den Glauben an die eigene Strategie aufgegeben.
In Washington, wo die politische Geduld nicht erfunden wurde, war der Rückhalt für McChrystal aufgebraucht. Die Zähigkeit der Militäraktionen in diesem Frühjahr, die verschobene und inzwischen wohl aufgegebene Kandahar- Offensive, die Unberechenbarkeit von Präsident Hamid Karsai – nun entlud sich der Frust am Kommandeur. Der hatte in nur einem knappen Jahr alles dazu getan, als arroganter Mr. Afghanistan für Erfolg oder Niedergang in dieser letzten Phase des Einsatzes zu stehen.
Diese Personalisierung war ebenso unsäglich wie die Ungeduld, die sich in dem mutwillig von Präsident Barack Obama gesetzten Datum für einen Abzugsbeginn äußerte. Beides zeigt, wie wenig diese Regierung von Afghanistan verstanden hat, wo jede Festlegung – sei es auf eine Person oder auf einen Zeitplan – sofort als Schwäche begriffen und ausgenutzt wird. Präsident Karsai jedenfalls hat seine Schlüsse bereits gezogen. Er entließ gerade zwei fähige Minister, beide Tadschiken. Offenbar sucht er also das Geschäft mit der paschtunischen Mehrheit und mit Pakistan. In dieser Strategie stört der Westen nur.
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