Afghanistan-Strategie
Es gibt keinen militärischen Ausweg
Die Absetzung von General McChrystal, der mit aller Macht zivile Opfer in Afghanistan vermeiden wollte, versetzt der Mission am Hindukusch einen schweren Schlag. Obama muss den militärischen Einsatz unter politischer Kontrolle halten, aber die Nerven liegen blank. Ein Kommentar von Günther Nonnenmacher.
25. Juni 2010
Die Entlassung des Generals McChrystal war keine Überraschung, seit bekannt geworden war, was der Oberkommandierende in Afghanistan und seine militärische Entourage von den Politikern und Diplomaten halten, die sich um den Komplex „Afpak“ (Afghanistan/Pakistan) kümmern. Verteidigungsminister Gates und Präsident Obama durften keinen Zweifel daran lassen, dass der militärische Einsatz unter politischer Kontrolle bleibt. Überraschend ist vielmehr, dass der General und seine Mitarbeiter sich in Anwesenheit eines Journalisten kritisch bis abfällig über ihre politischen Vorgesetzten und ihre zivilen Pendants – den amerikanischen Botschafter in Afghanistan und den Afpak-Sonderbeauftragten Holbrooke – äußerten. Das ist ein Mangel an Disziplin; vor allem aber zeigt es, wie groß die Frustration ist und dass die Nerven blank liegen.
Die Absetzung jenes Oberbefehlshabers, der von General Petraeus, dem Vater der neuen amerikanischen „Counterinsurgency“-Strategie, die nach ihrer Erprobung im Irak nun in Afghanistan angewendet werden sollte, speziell für diesen Auftrag ausgesucht worden war, versetzt der ganzen Mission einen schweren Schlag. Trotz der Versicherung, dass es nicht zu einem weiteren Strategiewechsel kommen werde, und trotz der Bekundung General McChrystals selbst, er stehe nach wie vor zu der von ihm mitentwickelten Strategie, werden sich die Zweifel daran mehren, ob auf diesem Weg in Afghanistan ein militärisch-politisches Ergebnis erzielt werden kann, das sich irgendwann als Erfolg darstellen lässt.
Schwierege Zeiten im Weißen Haus: Der amerikanische Präsident Barack Obama, flankiert von Vizepräsident Joe Biden und General David Petraeus
Tatsächlich haben sich die Rückeroberung der Stadt Mardschah und die Verdrängung der Taliban aus dem gleichnamigen Distrikt bestenfalls als halber Erfolg erwiesen. Dabei sollte diese Offensive nur ein Probelauf sein für eine weit größere, in deren Verlauf die Aufständischen aus der Provinz Kandahar und Teilen des afghanischen Südens vertrieben werden sollten – ein ehrgeiziges Ziel, an dem seither viele Abstriche gemacht wurden.
Problematische Strategie: Immer mehr gefallene Soldaten
Als problematisch hat sich die Taktik herausgestellt, die McChrystal nach der Übernahme des Kommandos mit aller Macht durchzusetzen versuchte: Um die ausländischen Truppen so wenig wie möglich als fremde Besatzer erscheinen zu lassen und dadurch die Unterstützung der afghanischen Bevölkerung zu gewinnen, sollten zivile Opfer um fast jeden Preis vermieden werden.
Praktisch bedeutete das, dass Luftangriffe und Luftunterstützung für die Landstreitkräfte begrenzt wurden. Es bedeutete aber auch, dass die Truppenkommandeuren manche militärische Aktion in schwierigem Gelände gar nicht mehr ausführen konnten, ohne ihre Soldaten einem hohen Risiko auszusetzen. Die Zahl der gefallenen Soldaten – ausländische wie afghanische – ist seither sprunghaft gestiegen.
Als genauso riskant (oft auch als ineffizient) wird von Kommandeuren das „pairing“ eingeschätzt, der Versuch, ausländische und afghanische Einheiten in Kampfeinsätzen gemeinsam vorgehen zu lassen. Dafür haben viele afghanische Truppenteile noch gar nicht die Kampfkraft, von ihrer mangelnden Disziplin ganz zu schweigen. Das verweist darauf, dass es auch mit dem nächsten Bestandteil der Afghanistan-Strategie nicht zum Besten steht: Der Aufbau einheimischer Sicherheitskräfte – Polizei und Militär – hinkt hinter den Planzielen her. Fachleute nennen die Erwartung, dass ausländische Truppen vom Jahr 2011 an die Sicherheit größerer Teile des Landes in afghanische Hände übergeben und mit dem Abzug beginnen könnten, eine Illusion. Da stoßen die Umstände an Ort und Stelle und die politischen Vorgaben hart aufeinander.
Umstritten war die von Petraeus und McChrystal entwickelte Strategie von Anfang an. Vizepräsident Biden und der amerikanische Botschafter in Kabul, Eickenberry, ein ehemaliger Nato-General, hatten sich gegen einen massiven Aufwuchs der ausländischen Streitkräfte in Afghanistan ausgesprochen. Ihr Hauptargument war, dass dieser Krieg, der UN-offiziell als „Unterstützung der Regierung“ gilt, nur gewonnen werden könne, wenn das militärische Eingreifen von außen vom Aufbau eines glaubwürdigen politischen Regimes begleitet werde.
Nicht hinter Gittern, aber raus aus dem Job: Stanley McChrystal
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Daran mangelt es auch noch nach neun Jahren, und das Hin und Her nach der von Fälschungsvorwürfen begleiteten Präsidentenwahl zeigt das Dilemma in seinem ganzen Ausmaß. Die Amerikaner trauen Präsident Karzai eine saubere und wirkungsvolle Amtsführung nicht zu, aber sie haben keinen anderen, der mit Aussicht auf (Wahl-)Erfolg an seine Stelle treten könnte. So sind sie in vielen Fragen gezwungen, mit zweifelhaften Regionalfürsten und Warlords zu kooperieren, die ihr Mäntelchen in den Wind des Erfolgs hängen und morgen wieder zu Feinden werden können.
Es gibt keinen militärischen Ausweg in Afghanistan. Die Aufständischen und die Taliban-Gruppen, die diesseits und jenseits der Grenze zu Pakistan kämpfen, müssen in einen politischen Prozess einbezogen werden. Doch die Zauberformel, wie dies geschehen kann, ist noch nicht gefunden worden. Solange gibt es in Afghanistan eine Art mobilen Stellungskrieg – daran wird McChrystals Nachfolger Petraeus wenig ändern können.
Text: F.A.Z.
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