Where Obama Errs

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Wo Obama irrt

Europa entdeckt die Tugend des Sparens. Es sollte nicht auf die Rufe aus Amerika hören, mehr Geld auszugeben

In der Panik, die nach dem Crash von 2008 ausbrach, sangen sie alle mit einer Stimme, von Washington über Berlin bis Peking: »Wir fluten die Wirtschaft mit Geld und Nachfrage, koste es, was es wolle. Nie wieder Weltwirtschaftskrise wie in den Dreißigern!« Nach der griechischen Fast-Pleite und inmitten einer zögerlichen Erholung ist der Chor zerfallen. In Europa stehen die Sparer und Schuldenkiller; in Amerika will Obama die »Fehler der Vergangenheit« nicht wiederholen und bedrängt zumal die Deutschen, weiter zu fluten. Sein Chefideologe Paul Krugman, der Nobelpreisträger, hält ihnen gar den Unglückskanzler Heinrich Brüning (1930 bis 1932) vor, der mit seiner Geiz-ist-Heil-Politik den »Untergang der Weimarer Republik besiegelt« hätte.

Unsere Angela Brüning ist diesmal, anders als zu Beginn der Griechenkrise, mit ihrem 80-Milliarden-Sparprojekt nicht allein. Die Briten, als Defizit-Sünder fast so schlimm wie die Griechen, wollen bis 2016 gar 155 Milliarden Euro schaffen. Selbst Merkels Widersacher Sarkozy, dessen Land die Staatsgläubigkeit erfunden hat, will in drei Jahren 100 Milliarden Euro einsparen. Sind die Europäer klüger als die Amerikaner? Ja.

Ausgerechnet jetzt redet Amerika das Laster der Verschuldung schön

Obamas Lehrmeister John Maynard Keynes, der Gott des deficit spending, würde den Europäern Mut machen. Schon 1937 schrieb er in einer Artikelserie für die Times gegen sich selber an. Der Moment sei gekommen, wo »weitere Staatsausgaben« nur »geringen Nutzen« brächten. In der »Talsohle Schulden zu machen« sei richtig; jetzt gelte das »Gegenteil«. Seitdem haben wir einiges dazugelernt. Zum Beispiel von den Japanern, die in den Neunzigern ihre Straßen viermal neu teerten und dennoch in ihrem »verlorenen Jahrzehnt« gefangen blieben. Oder von Amerika, wo die nuller Jahre eine steil abfallende Kurve zeigen, die lehrreicher nicht sein könnte: Zu Beginn schaffte ein Dollar neuer Schulden (staatlich und privat) 0,7 Prozent Wachstum; am Ende waren es nur 0,1.

Eine weitere ernüchternde Statistik verstärkt ebenfalls das Plädoyer der Europäer: Typischerweise folgt in Amerika auf eine tiefe Rezession kräftiges Wachstum, wie etwa die sieben Prozent nach der von 1982. Heute, nach einem astronomischen Defizit von griechischen Dimensionen, wächst die Wirtschaft nur um 2,7 Prozent; die Arbeitslosigkeit rührt sich kaum vom Fleck.

Wieso sollte der Staat dann noch mehr zuschießen, wie Obama es den Europäern ungerührt anempfiehlt? Ein Team aus Stanford hat die Verheißung des Weißen Hauses – drei Millionen neue oder gerettete Jobs – mit den jüngsten Daten verglichen und zieht ein eisiges Fazit: Die Idee des frühen Keynes, wonach jeder Staatsdollar sich in der Gesamtwirtschaft munter vermehrt, funktioniert nicht mehr. »Der Multiplikator ist weniger als eins, weil Konsum und Investitionen der Privaten verdrängt werden.« Der Harvard-Ökonom Edward Glaeser meldet lakonisch: »Es gibt keinen Zusammenhang mehr zwischen Staatsausgaben und der Lage auf dem Arbeitsmarkt.«

Wie kann dann Obama den Europäern empfehlen, was bei ihm zu Hause nicht funktioniert? Unterm Strich bleiben nur Schulden der albtraumhaften Art. Sie können offensichtlich kaum oder gar nicht kurieren, was am meisten schmerzt: Arbeitslosigkeit und Wachstumsschwäche. Natürlich sind Schulden weder töricht noch unmoralisch, wenn es denn die richtigen sind und sie in Investitionen fließen. Die Konjunkturprogramme im Westen aber strömen vorweg in den Konsum. Wie kann ein Land gleichzeitig explodierende Schulden bedienen und in die Zukunft investieren? Nur durch sprießendes Wachstum, aber wie die deprimierende Erfahrung gerade in Amerika zeigt, ist der Staat ein schlechter Gärtner. Bei uns sind 1,5 Prozent nach all den Konjunkturpaketen auch nicht erhebend.

Der Alt-Keynesianer Obama mag es einfacher haben: Die Bevölkerung wächst und schafft so auf biologischem Wege ständig neue Nachfrage; außerdem können sich die USA, solange der Dollar Weltwährung bleibt, schier unbegrenzt Geld aus dem Ausland holen – und es in der Landeswährung zurückzahlen. Europa aber altert und schrumpft, und deshalb summieren sich Staatsschulden zum gigantischen Schneeballsystem: Den Letzten beißen die Pleitegeier.

Die Letzten sind die kommenden Generationen, wo immer weniger Erwerbstätige immer mehr Alte alimentieren und die geerbten Schulden bedienen müssen. Das ist keine Zukunft, die wir unseren Kindeskindern schenken wollen, und deshalb haben Merkel, Cameron und Sarkozy recht. Überdies haben sie gegenüber Obama noch drei praktische Argumente. Einmal kommen die Einschnitte erst 2011, etwa drei Jahre nach Beginn der Rezession, derweil der verbissene Brüning das Messer auf dem Höhepunkt der Krise anlegte. Zum Zweiten reduzieren wir hier bloß die Defizite, eliminieren sie aber nicht. Das ist kein Remake von Weimar, sondern eine dosierte Bremsung; der Motor läuft weiter. Schließlich gab es damals kaum die »automatischen Stabilisatoren«, die mit Hunderten von Milliarden die Kaufkraft von Arbeitslosen, Rentnern und Bedürftigen erhalten.

Die Ironie aber bleibt: Ausgerechnet jetzt, da die Europäer endlich ihre Finanzen ordnen, reden die Amerikaner das Laster schön. Die Geläuterten sollten sich nicht beirren lassen. Immerhin singen alle neuerdings wieder im Chor. Auf dem G20-Gipfel konnten die Europäer die USA wenigstens verbal auf die Tugend verpflichten: Obama will das Defizit in drei Jahren halbieren.

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