Öl – war da was?
Von Andrea Böhm
23.7.2010
Bislang haben wir bei jeder Umweltkatastrophe dazugelernt. Diesmal nicht
Die Empörung über die Umweltkatastrophe ist grenzenlos. Protestaktionen gegen Ölfirmen im ganzen Land, in Kalifornien verbrennen Bürger ihre Kreditkarten, mit denen sie an Tankstellen Rabatt bekommen. Der Kongress handelt, der amerikanische Präsident unterzeichnet mehrere radikale Gesetze zum Umweltschutz.
Barack Obama im Jahr 2010? Nein, Richard Nixon im Jahr 1970.
Auch damals ging es um eine Ölkatastrophe (und um verseuchte Flüsse). Das Fernsehen zeigte Bilder von toten Seevögeln, stillgelegten Fischereiflotten und ölverschmierten Stränden – in diesem Fall lagen sie in Kalifornien. Aber die politischen Zeiten waren offensichtlich andere. Vor vierzig Jahren zog der Schock über die ökologischen Folgen des Energiehungers politisches Handeln nach sich, um ebendiese Folgen zu korrigieren. Und er beschleunigte den Aufstieg der amerikanischen Öko-Bewegung.
Erst kommt die Katastrophe, dann der Lernprozess, dann die Politik. Dieser Dreisatz prägte bislang die Geschichte des Umweltschutzes. Bislang. Angesichts des Desasters im Golf von Mexiko, verursacht durch die BP-Ölplattform Deepwater Horizon, zeigt sich der Staat ebenso hilflos wie die Austernfischer in Louisiana. Politischen Aufwind verspüren in den USA offenbar nicht die Befürworter neuer Auflagen zum Schutz von Natur und Klima, sondern deren Gegner.
Das hängt zum einen mit den jahrzehntelangen Frontalangriffen der amerikanischen Rechten auf den mächtigen Staat zusammen. Einen Richard Nixon würden die meisten Republikaner heute als »Sozialisten« teeren und federn.
Zum anderen trägt die Entpolitisierung von Katastrophen Schuld. Seit Jahren erleben wir, wie Politik inszeniert wird. Dahinter verbergen sich keine finsteren Meister der Propaganda, sondern es geht um die ganz alltägliche Wahrnehmung von Kriegen und Desastern als dramatisiertes Infotainment. Es gibt den Bösen, in diesem Fall BP und seinen Chef Tony Hayward, es gibt die Unschuldigen, in diesem Fall die Fischer in Louisiana; es gibt die (hilflos) Empörten, die Senatoren und den Präsidenten. Und am Ende gibt es Entschädigung. Das ist kein Happy End , aber besser als nichts – und in den Augen der meisten Amerikaner besser als ein Moratorium für Ölbohrungen in der Tiefsee.
Mit der Verhängung eines vorläufigen Bohrstopps scheiterte Barack Obama an der amerikanischen Justiz und an der öffentlichen Meinung. Sein Appell an seine Landsleute, unter dem Eindruck der Katastrophe eine neue, nachhaltige Energiepolitik zur nationalen Mission zu machen, verhallte.
Das Paradoxe dabei ist: Wir – denn es geht ja nicht nur um die Amerikaner – ertrinken bei der Berichterstattung über solche Katastrophen inzwischen in absurden wie erschreckenden Informationen über unser eigenes Zerstörungspotenzial. Wir wissen jetzt, wie ein Absperrventil kaputtgeht; wir wissen, dass BP-Chef Tony Hayward über drei Millionen Pfund im Jahr verdient und gern segelt, wenn auch derzeit eher nicht im Golf von Mexiko. Wir wissen, dass inzwischen 800 Kilometer der amerikanischen Küste verschmutzt sind, dass man zum Stopfen von Bohrlöchern unter anderem Golfbälle verwenden kann und dass die ökologische Erholung der Region Jahrzehnte dauern wird – vorausgesetzt, wenigstens die Verschlusskappe über dem Loch hält, was BP verspricht, aber die Regierung anzweifelt. Wir wissen auch, dass die über 700 Millionen Liter Rohöl, die in den vergangenen Wochen in den Golf geflossen sind, etwa einem Fünftel des täglichen Verbrauchs der USA entsprechen.
Wir haben außerdem gelernt, dass oil spills andernorts seit Jahrzehnten zur Tagesordnung gehören. In Nigeria läuft seit Mitte der sechziger Jahre das Rohöl nicht nur durch die Pipelines, sondern auch ins Nigerdelta. Genaue Zahlen gibt es nicht. Womöglich waren es bislang über zwei Milliarden Liter, was einem Exxon Valdez- Tankerunglück pro Jahr entspricht.
Nur will der Lernprozess, also die Umsetzung dieser Informationen in politisches Handeln, heute nicht mehr so recht gelingen – nicht in den USA, nicht im Rest der Welt. Die Arktis wird gerade aufgebohrt, ebenso der Meeresboden vor den afrikanischen Küsten. Brasilien träumt schon von seiner Zukunft als Petromacht und von Ölbohrungen, Tausende Meter tief, vor seiner Küste.
Die Zeiten von easy oil , von schnell und relativ gefahrlos zu förderndem Öl, sind vorbei. Die Ära von tough oil ist angebrochen. So nennt der amerikanische Konfliktforscher Michael Klare Erdöl, das unter hochriskanten, teuren Bedingungen aus dem Boden geholt werden muss. Weil es an den tiefsten Stellen der Ozeane liegt oder in Hurrikangebieten. Oder sich unter der Kontrolle von politisch fragilen Regimen und Diktaturen befindet – wie in Kasachstan, wo Angela Merkel gerade die deutsch-kasachische Petrofreundschaft beschworen hat.
Je größer unsere Gier nach tough oil , desto geringer unsere Bereitschaft, in Zusammenhängen zu denken. Wer das Rennen um tough oil reguliert (ohne dabei den Verbrauch von Kohle zu erhöhen), verhindert womöglich das nächste Umweltdesaster und erhöht die arg beschädigten Aussichten auf Klimaschutz. Wer Energieeffizienz zum nationalen Politikziel macht, schützt nicht nur die Umwelt, sondern minimiert auch den politischen Einfluss von Öldiktaturen. Wer Schlupflöcher im internationalen Seerecht stopft, verhindert, dass Ölkonzerne Sicherheitsstandards unterlaufen.
Keine dieser Einsichten ist neu oder originell, und keine verspricht einen Königsweg, denn hinter der Lösung eines Problems stehen in der Regel zwei neue. Über all das gab und gibt es stapelweise Studien und zahlreiche Konferenzen – aber das herrschende Primat des billigen Benzinpreises haben sie nicht angekratzt.
Womöglich folgt die heilsame Wirkung des Schocks über Deepwater Horizon ja noch. Womöglich wird irgendwann eine überfällige Konvention ausgehandelt, eine Diskussion über ein Moratorium für Tiefseebohrungen angeschoben und die Debatte über Klimaschutz aus dem Keller geholt.
Aber vorerst ist keiner in Sicht, der den Anfang machen will oder kann. Barack Obama schon gar nicht. Der muss im November bei den Kongresswahlen mit einer verheerenden Niederlage rechnen.
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