Moral und Erfolg schließen sich aus
Kommentar von Kathrin Werner
07.08.2010
Die Wut auf BP richtet sich gegen den Falschen. Von dem Ölkonzern war nicht zu erwarten, dass er moralisch handelt. Das ist Aufgabe der Politik.
Wer sich in den vergangenen Monaten über BP aufgeregt hat, ist naiv. Klar, die Ölpest ist ein Desaster für die Umwelt. Klar, es hat entsetzlich lange gedauert, bis der Konzern das Loch im Golf von Mexiko nun endlich gestopft hat. Wenn sich herausstellen sollte, dass das Unternehmen Sicherheitsregeln missachtet hat, gehört es verurteilt – auch das ist klar. Doch man kann dem Konzern keinen Vorwurf machen, weil er tut, wofür er gegründet wurde: nach Öl bohren, Risiken eingehen, Gewinne schreiben.
Allein BP die Schuld für die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko zuzuschreiben, ist naiv Völlig zu Recht sind die gefährlichen Bohrungen Tausende Meter unter dem Meeresspiegel in die Kritik geraten. Trotzdem kann niemand von BP verlangen, freiwillig auf sie zu verzichten – ob im Golf von Mexiko, vor Ostafrika oder im Mittelmeer vor der libyschen Küste. Der Konzern wird nicht zugunsten von Umweltschutz auf Profit verzichten.
Der nachhaltige Umgang mit der Umwelt ist ein zentrales Dilemma unseres kapitalistischen Wirtschaftssystems: Alle wollen ihn. Aber er rechnet sich meist nicht. Das Dilemma geht über den Umweltschutz hinaus: Man kann von keinem Unternehmen erwarten, dass es zugunsten irgendeiner moralisch richtigen Entscheidung auf Profit verzichtet. Der Chef ist nur den Aktionären verpflichtet
Konzerne sind Systeme, die nicht auf Moral ausgerichtet sind. Selbst wenn er wollte, der Chef von BP könnte gar nicht einfach auf die umstrittenen Tiefwasserbohrungen verzichten. Er ist in seiner Funktion nicht der Gesellschaft verpflichtet, sondern seinen Arbeitgebern: den Eignern des Ölkonzerns. Die einflussreichen BP-Aktionäre, die meisten von ihnen Pensionsfonds aus Großbritannien und den USA, würden ihn absetzen, wenn er Entscheidungen trifft, die ihre Dividenden schmälern oder den Aktienkurs einbrechen lassen. Selbst wenn die Fondsmanager Tiefbohrungen als zu gefährlich erachten – hinter ihnen stehen Tausende Polizisten in Louisiana oder kleine Beamte in New York, deren Renten sie sichern müssen.
Entsprechend suchen die Aktionäre den Vorstandschef aus. An die Spitze gelangt er nicht, weil er besonders grün denkt oder sich gegenüber seinen Untergebenen freundlich verhält. Er wurde ausgewählt, um das Interesse der Aktionäre zu vertreten: Geld zu verdienen. Das Gegenteil wäre auch nicht im Interesse der Gesellschaft. Wenn ein Unternehmen eine moralische Entscheidung trifft, die es Rendite kostet, wird es langfristig nicht wettbewerbsfähig sein – und von skrupelloseren Rivalen aus dem Markt gedrängt. Die Falschen überleben.
Wann es doch lukrativ ist, moralisch zu handeln
Freilich gibt es unternehmerische Entscheidungen, die im Einklang mit der Moral stehen und sich trotzdem rechnen. Auf Kinderarbeit zu verzichten lohnt sich, weil Kunden durch ihre Kaufentscheidungen Unternehmen belohnen, die sie gut finden – oder die anderen bestrafen. Wer in Umweltschutz investiert, findet leichter neue Mitarbeiter. So entsteht bei Unternehmen ein genuines Interesse, sich moralisch zu verhalten.
PR-Leute gehen mit diesen Entscheidungen gern hausieren, sie sprechen dann von “Corporate Social Responsibility”. Doch der Impuls für eine sozialverantwortliche Handlung kommt nie vom Unternehmen selbst. Eine Entscheidung wird aber erst dann moralisch, wenn sie freiwillig erfolgt. Corporate Social Responsibility gibt es nicht. Moral und Erfolg schließen einander aus.
Diese – marktwirtschaftliche – Korrektur unmoralischen Verhaltens durch Verbraucher funktioniert nicht immer. Es gibt sie eben doch, die Fälle, in denen es lukrativ ist, die Umwelt zu verschmutzen oder die Mitarbeiter auszubeuten. Gerade gegenüber Ölkonzernen versagt der Mechanismus. Wer BP boykottiert, tankt bei einem anderen Umweltsünder. Auf das Produkt Öl lässt sich in unserer Gesellschaft kaum verzichten. Darum wird es sich für BP weiter lohnen, tiefer zu bohren, obwohl das Risiko mit jedem Meter steigt. Die Nachfrage wird nicht sinken, Unfälle sind eben doch selten und die Kosten der Schadensbeseitigung zu niedrig.
In Europa wäre das wohl nicht passiert
Für diese Fälle braucht es einen starken Staat. Es ist die Aufgabe des Gesetzgebers, Moral und wirtschaftlichen Erfolg aneinanderzukoppeln, er darf nicht zulassen, dass sie im Widerspruch zueinanderstehen. Die gewählten Volksvertreter müssen Regeln setzen, die jedem Marktteilnehmer vorschreiben, entsprechend den gesellschaftlichen Moralvorstellungen zu handeln. Die Politik muss internationale Standards setzen, damit Moral im Wettbewerb zumindest nicht abgestraft wird. Und sie muss für Sanktionen sorgen, wenn diese Regeln verletzt werden. Die Wut auf BP richtet sich also gegen den Falschen. Von dem Konzern war nichts anderes zu erwarten. Von der Politik schon.
In Europa wäre ein ähnlicher Unfall wahrscheinlich nicht passiert – die Sicherheitsstandards sind hier härter, die Kontrollen schärfer, die Politik distanzierter von der Wirtschaft. Hier gibt es einen Rahmen, der Unternehmen zu richtigem Handeln zwingt. Kern der europäischen sozialen Marktwirtschaft ist eben die Erkenntnis, dass Unternehmen nicht freiwillig sozial handeln. Der BP-Unfall belegt damit auch das Scheitern des amerikanischen Modells, das Scheitern der freien Marktwirtschaft.
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