China drosselt Amerikas Frischgeldzufuhr
von André Kühnlenz
16.08.2010
Jahrelang lebten beide Staaten in einer perfekten Symbiose. Doch die USA kann sich bei der Finanzierung ihres Wohlstands nicht mehr auf die Volksrepublik verlassen. Sie muss sich selbst helfen.
Noch hängen sie zusammen wie Pech und Schwefel: China und die USA. So sehr, dass der vom renommierten Historiker Niall Ferguson geprägte Neologismus “Chimerica” Eingang in den Sprachgebrauch gefunden hat.
Jahrelang war es die perfekte Symbiose zweier Volkswirtschaften: China produziert und exportiert, Amerika kauft und zahlt, die Einnahmen legt die Volksrepublik wiederum in US-Staatsanleihen an, deren Zinsen niedrig bleiben und den Konsum weiter anheizen.
Ein perfekter Kreislauf, der den USA in der Krise geholfen hat, Schuldscheine zu Niedrigzinsen loszuwerden, die wegen der Konjunkturpakete und Finanzspritzen für Banken notwendig waren. 260 Mrd. Dollar flossen so allein zwischen Mitte 2008 und 2009 in die Staaten, Absender: Peking.
Der Schuldenstand von Bund, Staaten und Gemeinden in den USA beläuft sich auf 75 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) oder mehr als 10.000 Mrd. Dollar. Ein Zehntel davon hält allein China, das Japan als größter Gläubiger der Staaten abgehängt hat. Noch deutlicher wird die gegenseitige Abhängigkeit mit Blick auf Chinas gesamte Devisenreserven: 68 Prozent der 2450 Mrd. Dollar sind in US-Wertpapieren aller Art angelegt.
Doch die Spielregeln haben sich geändert, und es ist keineswegs sicher, dass die USA noch länger auf ihren kommunistischen Bündnisgenossen zählen können. Zu schnell wächst Amerikas Schuldenberg, zu groß sind mittlerweile die Zweifel der Chinesen an der Selbsterneuerungskraft der US-Wirtschaft, als dass sie ihr weiter unbegrenzt Kredit einräumen. Denn fällt Amerika tatsächlich zurück in die Rezession und leidet der Dollar , schmilzt auch das Vermögen, das China in US-Anleihen hält. Schon legt Peking neue Reserven verstärkt in japanischen Staatstiteln an. Allein die Schuldenquote des Bundes dürfte bis 2015 von heute 64 Prozent auf 80 Prozent des BIPs steigen, warnt der Internationale Währungsfonds (IWF) und mahnt die US-Regierung zum Sparen.
Hilfe im Inland
Doch wer tritt an die Stelle der fleißigen Sparer, wenn China und auch die ölreichen Golfländer ausfallen? Präsident Barack Obama muss den Blick ins Inland richten.
Chinas Devisenreserven Immerhin: Auf 6,4 Prozent ist die jahrelang extrem niedrige Sparquote der konsumwütigen Amerikaner bereits gestiegen, und sie halten wieder die Mehrheit ihrer Staatsanleihen selbst. Washington muss hoffen, dass die Amerikaner dauerhaft dem Sex-Appeal heimischer Anleihen verfallen. “Die ausländische Nachfrage wird mit den Anstieg der Schulden nicht Schritt halten”, warnt denn auch der IWF.
Behält der IWF recht, steigt die Gefahr, dass die US-Zinsen kräftig steigen, Obama die Refinanzierung der Staatsschulden immer schwerer fällt, der Konsum abflaut und die Konjunktur weiter leidet – ein Teufelskreis, der der weltgrößten Volkswirtschaft droht. So rechnen die IWF-Experten damit, dass die Realzinsen auf mittlere Sicht 0,6 bis 1,5 Prozentpunkte höher ausfallen, sofern die Leitzinsen dauerhaft null Prozent betragen. Anders dürften die USA keine Abnehmer für ihre Staatsanleihen finden.
Auf die Ausländer jedenfalls, so viel ist sicher, kann sich Obama nicht mehr uneingeschränkt verlassen. Der IWF schätzt, dass nicht-amerikanische Anleger bis 2015 nur noch für neue Darlehen in Höhe von drei Prozent des BIPs bereitstehen werden. Und selbst wenn Amerikas Verbraucher noch mehr sparen und US-Schuldtitel erwerben, tut sich nach jetzigem Stand eine Nachfragelücke von 29 Prozent des BIP auf. Dabei sind die Experten des Weltwährungsfonds sogar noch optimistisch: Schließlich setzen sie darauf, dass Ausländer bald wieder so viele US-Staatsanleihen kaufen wie vor der Finanzkrise. Für China unterstellen sie etwa, dass deren Bestand an US-Staatsanleihen bis 2015 um gut 50 Prozent auf 1560 Mrd. Dollar steigt.
Eine mutige Prognose. Denn Chinas Devisenreserven wachsen nicht mehr in den Himmel. Im ersten Halbjahr 2010 legten sie nur noch um 2,3 Prozent zu – eine deutlich geringerer Anstieg als noch im zweiten Halbjahr 2009. Und ein Wandel mit dramatischen Folgen für die USA, die so dringend auf frisches Kapital angewiesen sind wie ein Süchtiger auf Drogen.
Die USA sind auf Entzug, der Nachschub versiegt. Denn Chinas Exportüberschüsse werden weiter sinken, glauben Experten wie Stefan Schilbe, Chefvolkswirt bei HSBC Trinkaus. Nicht unbedingt, weil die Volksrepublik weniger ausführt. Sondern weil die Chinesen mehr verdienen und die Importnachfrage steigt. Zudem versuchen Notenbank und Regierung in Peking alles, um die spekulative Zuflüsse ins Land abzumildern. “Die neue Wechselkurspolitik hilft, dass China nicht mehr so viel Reserven anhäufen muss”, sagt auch Ulrich Leuchtmann, Chefdevisenanalyst der Commerzbank. Das Ende von Chimerica naht.
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