Die neue Strategie fordert mehr Soldatenleben
Von Clemens Wergin
21.09.10
Der Schutz der Zivilbevölkerung soll das Vertrauen in die US-Sicherheitskräfte stärken. Für die Soldaten ist es gefährlicher.
Für die Isaf-Truppen ist 2010 das blutigste Jahr seit Beginn der Afghanistan-Kampagne. 529 Soldaten sind schon gestorben – mehr als im bisher schlimmsten Jahr 2009. Und dabei sind es noch über drei Monate bis zum Jahresende. Man sollte sich aber hüten, aus diesen Zahlen gleich ein Scheitern abzulesen. Die besonders von den Amerikanern betriebene Truppenaufstockung hatte ja das Ziel, wieder aus der Defensive zu kommen und jene Teile Afghanistans zurückzuerobern, die von den Taliban übernommen wurden. Wer aber den Krieg auf das Feld des Feindes ausdehnt – etwa in die Provinz Helmand – wird auch größere eigene Opferzahlen zu beklagen haben.
Ein weiterer Teil der höheren Totenzahlen dürfte der neuen Strategie zuzurechnen sein. Die setzt weniger auf Luftangriffe und andere “kinetische” Mittel der Kriegsführung, sondern mehr auf die Präsenz der Soldaten vor Ort. Das soll helfen, den Tod afghanischer Zivilisten zu vermeiden und das Vertrauen der Zivilbevölkerung in die Sicherheitskräfte zu stärken. Es setzt die Soldaten aber auch größerer Gefahr aus. Das ist die große Wette, die die neue Theorie der Aufständischen-Bekämpfung eingeht: Man verschiebt den Schwerpunkt vom Schutz der Soldaten auf den Schutz der Zivilbevölkerung und hofft, dass sich das später auszahlt.
Im Irak hat das funktioniert. In den ersten Monaten nach dem “Surge” stieg auch dort die Zahl getöteter US-Soldaten. Dann jedoch wechselten viele Stämme und Clans die Seiten. Sie glaubten den Amerikanern, dass sie sie auch in Zukunft gegen die Radikalen beschützen würden – und plötzlich bekamen die Amerikaner von den Irakern viele Informationen über die Aufständischen. Der Krieg begann sich zu wenden, und die Zahl der getöteten US-Soldaten sank rapide. Für Afghanistan kann man vorerst nur sagen: Der Kampf wird intensiver. Wer ihn gewinnt, ist offen.
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