Das Spiel mit der Angst vor dem Terror
Von Günther Lachmann
04.10.10
US-Geheimdienste sprechen von drohenden Anschlägen in Berlin. Deutsche Behörden weisen diese Darstellung zurück. Was steckt wirklich dahinter?
Wenn es einen begründeten Verdacht auf terroristische Anschläge gibt, müssen Sicherheitsdienste die Menschen davor warnen. Wenn es aber diesen begründeten Verdacht nicht gibt oder sich die Gefahrenlage über Monate hinweg nicht verändert hat, sollten sie sich zurückhalten.
Seit einer Woche etwa erreichen Deutschland und Europa über US-amerikanische Quellen beinahe täglich neue Terrormeldungen. Diese gipfeln zum Wochenbeginn in der Warnung, islamische Terroristen planten Anschläge auf den Berliner Hauptbahnhof, den Fernsehturm und das Hotel Adlon.
In Paris hätten die Terroristen den Eiffelturm und die Kathedrale Notre Dame ins Visier genommen und in London die königliche Familie. Das jedenfalls berichtet der US-Sender Fox News und beruft sich dabei auf US-Geheimdienste.
Al-Qaida-Chef Osama bin Laden selbst soll die Anschläge befohlen und finanziert haben. Den Berichten zufolge müssten bereits Terroristen auf dem Weg nach Europa sein, die auf Attacken im Stil des Angriffs auf ein Hotel in Mumbai im November 2008 spezialisiert seien.
All das soll der Deutsch-Afghane Ahmad Sidiqi den US-Geheimdiensten erzählt haben, und die gaben es gezielt an ausgesuchte US-Medien weiter. US-Militärs haben Sidiqi Anfang Juli in Kabul festgenommen. Seither wird er in der US-Basis Bagram von Spezialisten des US-Militärs und der Geheimdienste verhört. Unter welchen Bedingungen er dort seine Aussagen macht, ist bisher nicht bekannt.
Keine konkrete Anschlagsgefahr
Doch das, was er sagt, beunruhigt die europäischen Sicherheitsbehörden keineswegs. Sowohl die deutschen als auch die französischen Nachrichtendienste sehen keine konkrete Anschlagsgefahr. Zwar gebe es in den einschlägigen Foren und Netzwerken immer wieder einmal Gerüchte über Anschlagspläne. Diese seien aber wenig konkret und bislang nicht durch weitere Hinweise erhärtet worden. Somit gebe es keine akute Gefahr eines Terroranschlags.
Nach Informationen der Sicherheitsdienste ist die Stimmung in den Lagern der Dschihadisten zudem alles andere als kämpferisch. Dazu haben die ununterbrochenen Drohnenangriffe der Amerikaner ebenso beigetragen wie die archaischen Lebensumstände. In den Lagern fehlt es oft am Nötigsten. Immer wieder mussten die selbst ernannten Gotteskrieger aus purer Not über das Internet zu Spenden aufrufen, um ihr Überleben zu sichern.
Die Zahl derer, die es dort nicht mehr aushalten und wieder zurück wollen, scheint zu steigen. Aber sie können in der Regel gar nicht zurück, weil sie weder Geld noch Papiere haben, die ihnen beim Eintritt in den Dschihad abgenommen wurden. Auch die vielen Todesopfer demoralisieren die aus Deutschland angereisten Kämpfer. Zuletzt waren ihre Leitfiguren Bekkay Harrach und Eric Breininger gestorben.
Dennoch warnen die US-Dienste vor Anschlägen in Deutschland. Die US-Regierung gab am Wochenende sogar einen Reisehinweis heraus.
Warum machen die USA das? Wissen sie einfach nur mehr als alle anderen? Immerhin gab es auch das schon oft genug. Schließlich waren sie es, die auf die Attentatspläne der Sauerlandgruppe aufmerksam wurden und daraufhin die deutschen Behörden informierten. Diesmal jedoch scheinen die Dinge anders zu liegen. Jedenfalls bestreiten BND, Verfassungsschutz und Bundeskriminalamt auch heute noch vehement die Darstellungen in den US-Medien.
Ist also vielleicht das Verhältnis zwischen US-Diensten und ihren europäischen Partner so sehr gestört, dass sie nicht einmal mehr zu einer gemeinsamen Einschätzung der Terrorgefahr in Europa gelangen können? Beide Seiten bestreiten dies mit Nachdruck und sprechen von einer guten Kooperation.
Daher muss sich die US-Regierung fragen lassen, warum sie eine Terrorgefahr inszeniert, die es so augenscheinlich nicht gibt? Wer diese Frage stellt, der wird in Sicherheitskreisen unter anderem auf die labile innenpolitische Lage in den Vereinigten Staaten verwiesen. Die Wirtschaftsdaten sind schlecht, die Zahl der Arbeitslosen steigt weiter, das Land hat die Krise noch längst nicht hinter sich.
Das merkwürdige Verhalten der USA
Radikale Rechte in der sogenannten „Tea-Party-Bewegung“ nutzen diese Lage geschickt für ihre politischen Zwecke. Und so droht den Demokraten um US-Präsident Barack Obama bei den anstehenden Kongresswahlen eine herbe Niederlage.
Glaubt die US-Regierung also bei den Wählern punkten zu können, indem sie behauptet, sie verhindere mit ihrer massiven Bombardierung Nordwaziristans verheerende Terroranschläge in Europa? Ein Gedanke, den niemand offen auszusprechen wagt.
Aber eine schlüssige Erklärung für das Verhalten der USA hat auch niemand. So steht der Verdacht im Raum, die US-Regierung spiele mit der Angst der Menschen in Europa. Sollte Obama seinen innenpolitischen Gegnern gegenüber tatsächlich so hilflos sein, dass er zu solchen Mitteln greifen muss? Würde dieser Verdacht irgendwann auch nur zum Teil als Wahrheit entlarvt, gäbe der Zustand der der US-Regierung ernsthaften Anlass zur Sorge.
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