America’s Right-Wing Rebels

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Die Rebellen vom rechten Rand Amerikas

von THOMAS VIEREGGE

16.10.2010

Die Tea Party überzieht die USA mit einer diffusen Protestrhetorik. In Delaware kämpft Christine O’Donnell mit wehenden Fahnen gegen Barack Obama – und unterminiert so die Republikaner.

Drucken Senden Merken AAA Textgröße Kommentieren Die milde Herbstsonne und die Farbenpracht des Indian Summer tauchen den Campus der University of Delaware in ein sanftes Licht. Das Idyll könnte nicht schärfer kontrastieren mit dem brodelnden Zorn der Tea-Party-Aktivisten, die sich vor Beginn des TV-Duells zwischen ihrer Kandidatin und dem „Taxman“ mit hellblauen Bannern auf dem Uni-Areal in der Kleinstadt Newark versammelt haben.

„Christine O’Donnell ist eine von uns. Sie hat Hausverstand, und sie hat einiges von dem durchlitten, was auch wir durchgemacht haben.“ So charakterisiert Skip Newback die Bewerberin der Republikaner für den Senatssitz, den Vizepräsident Joe Biden 35Jahre innegehabt hat. Steuerschulden und Probleme mit der Hypothek ihres Hauses haben ihr die Sympathie des pensionierten Elektrogeschäftbesitzers eingebracht. Ihr demokratischer Widersacher Chris Coons, als „Steuererhöher“ und „Karrierepolitiker“ denunziert, sei hingegen als Mitglied der Gore-Tex-Familie „mit dem silbernen Löffel im Mund“ geboren worden.

Noch 2008 ist O’Donnell bei der Senatswahl mit Pauken und Trompeten gegen Biden untergegangen. Doch heuer schlug sie bei der Vorwahl als krasse Außenseiterin, aber mit dem Segen Sarah Palins und der finanziellen Unterstützung des „Tea Party Express“, den Favoriten des republikanischen Establishments aus dem Feld. Ebenso kess wie telegen stempelte sie den Ex-Gouverneur und langjährigen Abgeordneten Mike Castle, ihren moderaten Gegner, als „Rino“ ab – als einen Republikaner nur dem Etikett nach.

Das Resultat der Primaries jagte der Grand Old Party einen Schock ein. Zumal O’Donnell ankündigte: „Ich kämpfe immer noch gegen die Republikaner.“ In den Umfragen war Castle weit vor Coons gelegen, und die Republikaner rechneten fix mit dem Mandat und der eventuellen Mehrheit im Senat. Wahlkampf-Mastermind Karl Rove reagierte entsetzt. Verbittert erklärte der Chef der lokalen Republikaner, O’Donnell sei nicht einmal qualifiziert, die Wahl des Hundefängers für sich zu entscheiden. Der Überraschungssieg des 41-jährigen Palin-Klons hat die Ausgangsposition umgedreht: Zwei Wochen vor der Kongresswahl weist Coons einen klaren Vorsprung auf.

Mit Hexenhut

Während die Propaganda Coons in Anspielung auf dessen Juxartikel in einer Studentenzeitung als „bärtigen Marxisten“ karikierte, machte O’Donnell mit Schwindeleien über ihren Uni-Abschluss, Abzweigung von Wahlkampfspenden und vor allem Zitaten von sich reden. In „Politically Incorrect“, der TV-Show des Satirikers Bill Maher, sorgte sie Ende der 90er-Jahre als Stammgast kurzzeitig für Furore. Mal wetterte sie gegen Evolution und Masturbation, mal schwadronierte sie von Experimenten mit Hexerei und Satanismus.Prompt persiflierte die Satireshow „Saturday Night Live“ sie mit Hexenhut und Zauberbesen. Auf dem Campus laufen Witzbolde jetzt im Hexenoutfit herum – ein Vorgeschmack auf Halloween.

Wie Sarah Palin im Präsidentschaftswahlkampf geriet O’Donnell zur nationalen Lachnummer. „Palin ist ein Genie gegen sie“, ärgert sich Leonard Simon, Chef eines Modegeschäfts in Wilmington. „Sie ist verrückt, sie macht uns zum Gespött. Eine Schande.“ Mit 885.000Einwohnern einer der kleinsten Bundesstaaten, der sich als Erstunterzeichner der Verfassung als „First State“ rühmt, war Delaware schlagartig landesweit ins Rampenlicht gerückt.

Per Werbespot konterte O’Donnell: „Ich bin keine Hexe. Ich bin wie ihr. Ich gehe nach Washington und werde tun, was ihr tun würdet.“ In der Konfrontation mit Coons war sie weit entfernt, ihre Anliegen zu präzisieren: „Ich werde darauf schauen, dass die Verfassung eingehalten wird. Und ich werde Uncle Sam die Federn stutzen.“

Dieses Credo verbindet sie mit Dutzenden Tea-Party-Kandidaten, die die Republikaner unterminieren und weiter nach rechts treiben. Die inhomogene Protestbewegung spülte Politiker wie den libertären Augenarzt Rand Paul in Kentucky, den Anwalt Joe Miller in Alaska oder die Waffenliebhaberin Sharron Angle in Nevada nach oben – gegen den Widerstand der Parteielite und unter der Patronanz Palins. Sie verteufeln die Gesundheitsreform und die Sozialversicherung. Es sind Spinner darunter wie Rich Iott aus Ohio, der sich in Nazi-Uniform gefällt. Oder ordinäre Parvenus wie Immobilienmillionär Carl Paladino aus New York, der E-Mails verschickt, die Barack Obama in einer Montage als Zuhälter und Ehefrau Michelle als Hure zeigen. Unliebsame Reporter packt er am Kragen, von sich behauptet er: „I’m mad as hell“ – er sei rasend vor Zorn.

Populistischer Furor

Am Nachmittag des 19. Februar 2009 formulierte CNBC-Reporter Rick Santelli seine Wut in der Warenbörse von Chicago live vor TV-Kameras: „Herr Präsident, hören sie zu? Wir gründen hier eine Tea Party.“ Aus Protest gegen ein Hilfsprogramm für Hausbesitzer griff er zurück auf den Gründungsmythos der USA: auf die Rebellen gegen die Kolonialmacht England, die 1773 im Hafen von Boston Teeladungen ins Wasser schmissen – die Geburtsstunde der amerikanischen Revolution. Spontan sprossen Tea-Party-Gruppen wie Pilze aus dem Boden. Als treibende Kraft bestimmen sie seither mit ihrem populistischen Furor den Ton und konterkarieren die Coolness Barack Obamas.

„Ich war nie politisch aktiv, aber ich war es leid, auf den Fernseher einzubrüllen. Ich musste was tun“, erzählt die Biochemikerin Leslie. „Ich bin keine Republikanerin, ich bin eine Konservative.“ Theresa Garcia, Gründerin der „9/12 Delaware Patriots“ – eine Erfindung des Fox-News-Moderators Glenn Beck –, die ihren Job als Maklerin verloren hat, meint: „Wir brauchen einen neuen Ronald Reagan.“

Beim Lunch lauschen anderntags die Rotarier im Prunksaal des DuPont-Hotels in Wilmington Christine O’Donnell. Es wäre ein Heimspiel für Mike Castle. Selbst republikanische Honoratioren wie Ex-Gouverneur Pete DuPont haben sich indes aus Loyalität mit dem Tea-Party-Phänomen abgefunden.

(“Die Presse”, Print-Ausgabe, 17.10.2010)

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