US-Präsident mit halber Kraft
Obama hat gegen die Krise auf den aktiven Staat gesetzt. Doch der brillante Rhetoriker hat es versäumt, die Bürger davon zu überzeugen. Das hat ihm eine dramatische Wahlniederlage beschert.
Was nun, Herr Obama? Am Ergebnis der Kongresswahl in den USA gibt es für den Präsidenten nichts zu beschönigen. Natürlich ist die dramatische Niederlage der Demokraten für Obama eine Katastrophe. Im Repräsentantenhaus fand ein Erdrutsch statt, im Senat konnte die Präsidentenpartei nur hauchdünn ihre Mehrheit behaupten. Und natürlich meinten die Wähler mit ihrem Misstrauensvotum vor allem Obama und seine Politik – auch wenn sein Name auf keinem Wahlzettel stand. Vor zwei Jahren flogen Obama die Herzen zu. Jetzt liefen ihm die Wähler davon.
Es wäre ein Fehler, die Ursache für den rasanten Stimmungsumschwung nur in der schlechten Wirtschaftslage zu suchen. Gewiss, die jüngste Rezession hat die USA härter getroffen als jeder Wirtschaftseinbruch seit der Depression von 1929. Der Aufschwung lässt auf sich warten, die Arbeitslosigkeit bleibt beängstigend hoch, die Schulden auch. Die stolze Weltmacht ist zutiefst verunsichert. Zukunftsangst geht um, Furcht vor dem dauerhaften Abstieg. Zwei von drei US-Bürger glauben, dass es ihren Kindern einmal schlechter gehen werde. Und sie lesen mit banger Sorge, dass China nicht nur der größte Gläubiger der USA sei, sondern jetzt auch die schnelleren Supercomputer baut.
Doch die düstere Grundstimmung war eben nur der Hintergrund für einen erbittert geführten politischen Richtungskampf in Washington. Obama hat gegen die Krise auf den aktiven Staat gesetzt. Entschiedener als jeder andere Präsident seit Lyndon Johnson trieb er eine progressive Agenda voran. Die Republikaner haben das als Sozialismus verteufelt. Besonders laut schimpfte die wütende Minderheit der „Tea Party“-Rebellen. Die fühlt sich jetzt als eigentlicher Wahlsieger – und tatsächlich hat sich die konservativ-populistische Bewegung mit Dutzenden Abgeordneten als wichtige Kraft in der republikanischen Partei etabliert. Doch sie war nur ein Faktor unter vielen. Im Senat hat sie sogar eine republikanische Machtübernahme verhindert. Entscheidende Mandate konnten die Demokraten in Nevada und Delaware nur deshalb verteidigen, weil „Tea Party“-Bewerber Wähler der Mitte verschreckten.
Liebesentzug der politischen Mitte
Der Liebesentzug der politischen Mitte war ein anderer, mindestens ebenso wichtiger Faktor bei der Wahl. Vor zwei Jahren verhalf Obama eine klare Mehrheit der „Independents“ zum Sieg. Nach dem unrühmlichen Ende der Bush-Ära bekamen die Demokraten damals die Chance, es besser zu machen. Diese Chance hat Obama in ihren Augen nicht genutzt. Diese Wähler werfen ihm heute vor, sich zu wenig um ihre Alltagssorgen gekümmert und zu sehr für die Geschichtsbücher regiert zu haben.
Diesem Eindruck hatte Obama vor der Wahl fast trotzig widersprochen, wie jemand, der sich unverstanden glaubt. Hatte er nicht die Wirtschaft mit gewaltigen Konjunkturhilfen vor dem Absturz gerettet? Die Banken, die Autoindustrie? Hatte er nicht historische Reformen im Gesundheitswesen durchgesetzt, die Millionen Menschen im Krankheitsfall besser absichern? Hatte er nicht der Wall Street Ketten angelegt, die verhindern sollen, dass Spekulanten das Land noch einmal an den Rand des Abgrunds zocken? War Amerika nicht dabei, wenn auch quälend langsam, sich zu berappeln?
Die Bürger haben ein anderes Urteil gefällt. In ihren Augen war das Land nicht auf dem Weg der Besserung, sondern weiter auf gefährlicher Drift. Obama mag dies als ungerecht empfinden. Doch der einst so brillante Rhetoriker hat es eben versäumt, die Menschen von seiner Politik zu überzeugen. Zuletzt schien seine Partei, mutlos und zerstritten, nur noch für sich selbst und den Machterhalt zu kämpfen.
In der Erwartungshaltung all jener aber, die die Nase voll haben vom ewigen Parteienstreit, liegt nun auch die Chance des gedemütigten Präsidenten. Obama wird sich künftig auf Kompromisse einlassen müssen – doch die Republikaner müssen es auch. Sie stehen jetzt in der Verantwortung. Sie werden sich entscheiden müssen zwischen der kompromisslosen Haltung der „Tea Party“ und jener konstruktiven Opposition, die sich die pragmatische Mitte der Gesellschaft wünscht. Interpretieren die Republikaner ihren Sieg als Mandat zum Frontalangriff auf Obama, riskieren sie, sich rasch wieder unbeliebt zu machen. Der Präsident wiederum wird wie viele seiner Vorgänger lernen müssen, einer Kongressmehrheit der Opposition Zugeständnisse abzutrotzen. „Yes, we can“ gilt nur noch in homöopathischen Dosen.
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