Europäer sollten die Tea Party ernst nehmen – und lernen
Von Jürgen Liminski
31.10.2010
Man könnte die Kommentare der meisten deutschen Medien über die Wahlen in Amerika schon vorher schreiben, und der Tenor dürfte sein: Der Erfolg der Republikaner sei einigen verrückten Gestalten geschuldet, die sie mit Hilfe der Tea Party in politische Geiselhaft genommen hätten. Dazu ein paar Bilder von Sarah Palin oder der jungen Christine O’Donnell, am besten schreiend oder sonst irgendwie schrill auftretend. Es ist ja so einfach, ein paar Beispiele zu hochzuhalten und damit sich und die Zuschauer oder Leser zu manipulieren.
Aber was die selbstherrlichen Abkanzler in den Redaktionen nicht ahnen und vermutlich auch nicht wissen wollen: Diese Wahl markiert nicht nur die politische Einhegung des Medienlieblings Barack Obama – Verlust der Mehrheit im Repräsentantenhaus, möglicherweise sogar im Senat –, sondern auch das Aufkommen eines Phänomens, das in Europa ebenfalls Schule machen könnte.
Neue Ausdrucksformen des Volkswillen
Denn hinter und mit der Tea Party manifestiert sich eine Bewegung, die die Bedeutung des Staates und der etablierten Parteipolitiker in Schranken weist, die der wirkliche Souverän, das Volk, setzt. Es ist die Suche nach neuen Ausdrucksformen des Volkswillens, die von den blassen und blasierten Funktionären weder kontrolliert noch usurpiert werden können.
Die Tea Party hat keinen Chef, nur einige Sprecher, aber auch die ohne Mandat. Sie ist nicht landesweit organisiert und strebt keinen Parteienstatus an. Sie ist aus Protesten entstanden, aus vielen Millionen freiwilligen Stunden und vielen Millionen kleiner Spenden, aus einem Gefühl der Vernachlässigung und Verachtung durch die politische Klasse, einschließlich der Repräsentanten der Republikaner.
Aber sie will keine neue Partei sein, sondern die Republikanische Partei erneuern durch eine Besinnung auf die Wurzeln amerikanischen Denkens. Sie will weniger Staat und mehr Eigenverantwortung, mehr Freiraum für den Unternehmergeist und weniger Gängelung durch Ideologen und Bürokraten. Sie könnte sich, so gesehen, erweisen als die Avantgarde eines neuen demokratisch-konservativen Denkens.
Entzauberung Obamas als Blender
Entscheidend für die nahe Zukunft wird erstmal die mediale Entzauberung Obamas sein. Je nachdem welche personelle Alternative sich auf der republikanischen Seite in den nächsten Monaten ergibt, könnte diese Wahl auch der Anfang vom Ende einer „blendenden“ Ära sein.
Obama hat in der Tat geblendet. Er hat seine Versprechen nicht einlösen können. Die Arbeitslosigkeit ist so hoch wie seit einer Generation nicht mehr. Die Verschuldung ist gigantisch. Eine zweite Rezession steht vor der Tür. Der Dollar schwächelt anhaltend. Die Kriege gegen Islamisten, Piraten und Staatsterroristen sind nicht beendet. Seine Ratlosigkeit in außenpolitischen und in wirtschaftlichen Fragen macht ihn zum großen Zauderer im Weißen Haus – ein deutlicher Kontrast, mehr als ein Schatten, zu seinen Entschlossenheit vorgaukelnden Reden.
Der Hauptgrund für seinen Niedergang aber ist derselbe, der die Tea Party wachsen läßt: Obama sieht, wie viele europäische Politiker, das Heil im Staat. Das hat ihm in der Krise, da viele Amerikaner Haus, Geld und Zukunft verloren haben, die Stimmen der vom Schicksal Geschlagenen beschert. Die Bank Lehman Brothers ging sechs Wochen vor der Wahl 2008 pleite, der Schock gab vielen Amerikanern den Rest.
Schon vorher waren etliche Republikaner von Bush enttäuscht, weil dieser republikanische Präsident bereits in manchen Bereichen staatsinterventionistisch agierte. Obama aber tat dies auf aggressive Weise und hat damit tiefsitzende Instinkte einer eigentlich politisch desinteressierten Masse aufgeschreckt.
Amerikaner korrigieren politische Fehler schnell
Eine neue Gallup-Umfrage hat ergeben, daß nur 20 Prozent der Amerikaner ihr Heil im (Sozial-)Staat sehen, 42 Prozent dagegen definieren sich als staatskritische „Konservative“. Die anderen 38 Prozent halten sich für gemäßigt und irgendwo dazwischen. Obama könnte trotz seines Scheiterns Karriere machen – in Europa, aber nicht in Amerika.
Die Wogen der Krise und sein rhetorisches Talent haben ihn nach oben gespült. Aber die Amerikaner zeichnet eine hohe Flexibilität aus. Sie haben das Privileg, in der Politik Fehler rasch zu korrigieren. Das ist in Europa anders. Hiesige Kommentatoren werden Obamas Niederlage eher damit begründen, daß die Erwartungen in diesen „Messias“ schlicht zu hoch gesteckt waren. Es ist nur ein kleiner Teil der Wahrheit, der europäische.
Eine Bewegung wie die Tea Party, die eine bestehende Volkspartei von innen heraus erneuert, sucht noch ihresgleichen. Vielleicht hat das auch damit zu tun, daß die Amerikaner ein anderes Gleichgewicht gefunden haben zwischen Politik und Staat, Politik und Kultur, Politik und Religion.
Die amerikanische Zivilreligion als Vorbild?
Alexis de Tocqueville bezeichnete die amerikanische Staatsform schon vor fast 200 Jahren als Religion mit demokratischen Zügen. „Von Anfang an waren Politik und Religion einig, und sie haben seither nicht aufgehört, es zu sein“, schrieb der große Franzose. Und er sah auch die Verbindung, ja die gegenseitige Abhängigkeit: „Nie war ich überzeugter als heute, daß nur die Freiheit und die Religion in einer gemeinsamen Bemühung die Menschen aus dem Sumpf herausziehen können, in den die Demokratie sie stößt, sobald eine dieser Stützen ihnen fehlt.“
Wenn der Freiheit die Religion fehlt, endet sie in Gleichmacherei und Beliebigkeit. Wenn der Religion die Freiheit fehlt, endet sie in Diktatur. Tocqueville hatte ein sozusagen natürliches Verständnis für die amerikanische Lebensform. Dieser Impetus mündet in einer Maxime: Die persönliche Freiheit des einzelnen ist dieser Grundsatz des Lebens, abgestützt und eingehegt von der Verantwortung vor Gott. Mit dieser Maxime tun sich die Europäer schwer. Und deshalb wird es auch schwer sein, den Europäern die Niederlage Obamas zu erklären.
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