America Lacks a Moderate Party

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Das US-Parteiensystem steckt in der Krise. Tief zerstrittene Demokraten und Republikaner ebnen den Weg für eine neue politische Kraft.

In jeder Krise steckt eine Chance, heißt es. Die Erfahrung aber lehrt, dass in jeder Krise das Verhängnis lauert. Für Barack Obama, der bei den Halbzeit-Wahlen hart abgestraft wurde, heißt das: Ein Ende des Abstiegs, der seinem strahlenden Triumph vom November 2008 folgte, ist noch nicht in Sicht. Die Erosion der Macht droht in den kommenden beiden Jahren weiterzugehen und eine mit großen Versprechungen und Erwartungen gestartete Präsidentschaft nach nur einer Legislaturperiode zu beenden.

Der amerikanische Wähler verzeiht seinen Präsidenten viel: Schwächen in der Innenpolitik (Harry S. Truman wurde 1948 völlig überraschend im Amt bestätigt); politische Skandale (schon vor Richard Nixons Wiederwahl 1972 wurde über seine Watergate-Verstrickung spekuliert); Rekorddefizite (Ronald Reagan steigerte die Verschuldung in seiner ersten Legislatur um bis dahin unerreichte elf Prozent); oder sexuelle Fehltritte (trotz der Monica-Lewinsky-Affäre verließ Bill Clinton das Weiße Haus mit der höchsten Beliebtheitsrate aller Präsidenten).

Obama trifft keine Schuld an der Krise

Eines jedoch verzeiht der amerikanische Wähler nicht: anhaltend negative Wirtschaftsdaten. Das mag im aktuellen Fall ungerecht sein. Obama hat es zwar an demonstrativer Aufmerksamkeit für die Arbeitslosigkeit, die Immobilienpleiten und die Ängste der Menschen vermissen lassen. Er vergab auch Chancen seines gewaltigen Stimulus-Paketes. Aber selbst wenn der Präsident alles richtig gemacht hätte, sähe es um den Stellenmarkt in den USA heute kaum besser aus.

Die Mittel der Politik sind arg begrenzt, wenn eine Volkswirtschaft, und sei es die größte der Welt, nach Jahrzehnten, in denen sie über ihre Verhältnisse lebte, implodiert und dann feststellen muss, dass es ihr schlicht an Wettbewerbsfähigkeit fehlt. Was sollten die USA der Welt verkaufen, um für die dringend nötige Steigerung der Exportquoten zu sorgen?

Den Markt für Plastikspielzeug, Haushaltsgeräte oder Textilien haben Chinesen und andere südostasiatische Billigheimer dem Mindestlohn-Land USA abgetrotzt. Bei Lebensmitteln liegen die Vereinigten Staaten, nach der EU, auf Platz zwei der Importeure. Auf dem US-Fahrzeugmarkt wächst der Anteil deutscher Autos rasant. Was sich nicht einmal im eigenen Land verkaufen lässt, ist international chancenlos.

Frust über Washington stärkt die Ränder

Die Dominanz der USA bei iPhones, IT-Technik, in vielen Chemie- und Pharmasparten, beim Flugzeugbau und in der Waffentechnologie – sie reicht einfach nicht. Obama will darum Innovationen fördern und Fehlentwicklung der vergangenen Jahrzehnte korrigieren. Blockieren die Republikaner den Präsidenten dabei, wird sich Obama bemühen, den neuen Herren des Repräsentantenhauses den Schwarzen Peter zuzuschieben. Es ist aber fraglich, ob ein wechselseitiges „blame game“ die Demokraten 2012 retten oder das Vertrauen in die Republikaner wiederherstellen kann.

Wahrscheinlicher wäre: weder noch. Dann würde der jetzt schon gewaltige Frust über Washington, die Politik und alle Amtsinhaber weiter wachsen und die extremen Ränder stärken. Die Republikaner gerieten dann endgültig unter die Räder des populistischen bis reaktionären Tea Party Express. Und die Demokraten fielen zurück in elende Verteilungsideologien.

Das seit 150 Jahren bewährte Zwei-Parteien-System wäre erschüttert. Beobachter wie der Kolumnist und Pulitzer-Preisträger Thomas L. Friedman sehen darum eine dritte Partei heraufziehen, die sich 2012 am Rennen um das Weiße Haus beteiligen würde. Keine Tea Party und kein rechter Einzelgänger wie Ross Perot, der 1992 das Republikaner-Spektrum fledderte und Bush Senior verlieren ließ gegen Clinton.

Eine dritte Partei zeichnet sich ab

Auch keine linke Partei wie die Grünen des Ralph Nader, der 2000 die Wählerschaft der Demokraten kannibalisierte und George W. Bush zum Präsidenten machte. Sondern eine „Partei der Fakten“ aus der Mitte der Gesellschaft.

Wäre es völlig unvorstellbar, dass eine solche Partei zur realen Gefahr für Demokraten und Republikaner würde, wenn beide abgewirtschaftet und ihr Vertrauen verspielt hätten? Zumal, wenn eine solche dritte Partei mit einem Politprofi und Milliardär an der Spitze antreten würde – etwa New Yorks Bürgermeister Michael Bloomberg? Perot kam auf 19 Prozent. Bloombergs Potenzial wäre weit größer. Insbesondere, wenn bis 2012 Stillstand die US-Politik dominieren sollte.

Die Krise ist da. Die Chance bestünde in einer Zusammenarbeit der Vernunft von Demokraten und Republikanern. Aber derzeit sieht es eher nach Verhängnis aus.

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